Deutsche Geschichte (I) bis 1500

VON EINEM DEUTSCHEN VOLK und seiner Geschichte sprechen wir, seitdem das Reich Karls des Großen (768-814) unter seinen Enkeln aufgeteilt wurde. Da der östliche Teil eine rein germanische Bevölkerung hatte, hieß sein erster Herrscher Ludwig, Rex Germanorum (König der Germanen); erst viel später ist daraus Ludwig der Deutsche geworden. Damals nannte man allenfalls die Sprache deutsch; erst in der Zeit Ottos I. (936-973) ging der Ausdruck auch auf Volk und Land über. Aber nur wenige Nachbarn haben ihn übernommen, z. B. Italiener, Skandinavier und Niederländer. Alle anderen Völker haben andere Namen gewählt.

Burg Trifels (Bild: Der Weg)

 Eine Vorentscheidung darüber, was einmal deutsch heißen und gemeinsame nationale Merkmale zeigen sollte, hatte der Germanenfürst Hermann der Cherusker (Arminius) schon fast tausend Jahre früher herbeigeführt: Im Jahr 9 n. Chr. hatte er die römischen Legionen des Feldherrn Varus im Teutoburger Wald besiegt. Seitdem blieben die Römer am Rhein und an der Donau stehen. Das hatte zur Folge, daß sich die späteren Deutschen von ihren westlichen und südlichen Nachbarn in mancher Hinsicht unterschieden: Sie wurden nicht „romanisiert“; das heißt, daß sie von römischer (lateinischer) Sprache und Kultur sehr viel weniger beeinflußt waren.

Das deutsche Volk

Das Frankenreich wurde 843 in ein West-, Mittel- und Ostreich aufgeteilt. Später fiel der nördliche Teil des Mittelreichs (Lotharingien, vom Elsaß bis Bremen reichend) an das Ostreich. Die damit zwischen Deutschland und Frankreich gezogene Grenze blieb im wesentlichen während des ganzen Mittelalters bestehen. Sie war keine Volkstums- und Sprachgrenze; aber danach fragten bis ins 19. Jahrhundert weder Regierende noch Regierte. An den Volkstumsgrenzen änderte sich auch im Norden und Süden kaum etwas.
Nach Osten dagegen dehnte sich das deutsche Volkstum erheblich aus. Zu Beginn der deutschen Geschichte endete es noch an Elbe und Saale, am oberen Main, westlich des Böhmerwaldes und an der Enns. Die Ostgrenzen, die das Deutsche Reich und Österreich 1937 hatten, wurden von der deutschen Ostkolonisation im Verlauf des Mittelalters erreicht und mit Streusiedlungen (auch noch in späteren Jahrhunderten) weit überschritten. Innerhalb der deutschen Grenzen ging der größte Teil der ansässigen slawischen Bevölkerung in das deutsche Volkstum ein. Die Deutschen, zu Anfang vielleicht zwei Millionen zählend, wuchsen bis zum 15. Jahrhundert auf etwa 15 Millionen an. Ihrem Ausdehnungsdrang gebot für lange Zeit die große Pest der Jahre 1347-52 Einhalt, der ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer gefallen ist.

 

Kaiser und Reich

Um 900 hatten sich in Deutschland fünf selbständige Stammesherzogtümer gebildet: Bayern, Schwaben, Franken, Lothringen und Sachsen. Sie mußten sich aber bald der neu gewählten deutschen Königsmacht Ottos I. (912-973) beugen. Er setzte das Kaisertum Karls des Großen mit seinem „Heiligen Römischen Reich deutscher Nation“ fort. Seine Nachfolger steigerten die Kaisermacht noch. Heinrich III. (1039-56) war der Oberherr des christlichen Abendlandes.
Gegen eine solche weltliche Vorherrschaft wehrte sich die Kirche, und es entstand seit 1075 ein erbitterter Kampf zwischen Kaiser- und Papsttum. Dieser Kampf zog die Kaiser nach Italien und ließ sie immer mehr auf die Ausübung ihrer Herrschaftsrechte in Deutschland verzichten. Friedrich II. (1212-50), schon von Geburt ein Italiener, kämpfte nur noch für sein italienisch-sizilisches Reich. In Deutschland überließ er 1220 und 1232 den geistlichen und weltlichen Fürsten die volle Landeshoheit. Die Geltung, die er selbst durch seine überragende Persönlichkeit noch besaß, konnten seine Erben nicht mehr aufrechterhalten.
In den drei Jahrhunderten der „Alten Kaiserherrlichkeit war Deutschland ein Land blühender Kultur geworden. Anfangs wurde es geistlich bestimmt durch die Bildung an Bischofssitzen und in Klöstern, dann weltlich in der ritterlichen Kultur. Um 1200 war die Blütezeit der mittelhochdeutschen Dichtung und der romanischen Baukunst.

Das Spätmittelalter

Mit dem Tod Friedrichs II. (1250) läßt man das „hohe“ Mittelalter (900-1250) enden und das Spätmittelalter (1250-1500) beginnen. Das Ende der kaiserlichen Universalmacht bedeutete keinen Niedergang Deutschlands. Es war im Gegenteil weiterhin von kraftvollem Leben erfüllt. Im Norden und Osten dehnte es sich weit aus. Der Deutsche Ritterorden besetzte die preußischen und baltischen Länder; die Hanse herrschte an Nord- und Ostsee. Es gab jedoch keine zentrale Gewalt mehr. An die Stelle der Macht des Kaisers trat eine verwirrende Fülle unterschiedlich großer Herrschaftsgebiete: Königreiche, Herzogtümer, Grafschaften, Bistümer, Reichsstädte u. a.
Größere Bedeutung gewann zeitweise nur das Königreich Böhmen unter Kaiser Karl IV. (1347-78), der Prag glanzvoll ausbaute. Im Südwesten Deutschlands entstand seit 1291 im Kampf gegen die Habsburger die Schweizer Eidgenossenschaft, die sich schließlich vom Reich trennte (1499).
Am Übergang zur Neuzeit stieg das Haus Habsburg, beginnend mit Kaiser Maximilian I. (1493-1519), innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer Weltmacht auf. Dies schuf in Europa eine ganz neue Lage.
Das Rittertum mußte nach und nach militärisch den Landsknechtsheeren, wirtschaftlich den Kaufherren weichen. Die ritterliche Kultur wurde von einer bürgerlichen abgelöst, und es wurden zahlreiche Universitäten gegründet.