Wir kennen sicher die Musik von Mozart und Beethoven und hören sie wahrscheinlich auch gern. Aber Richard Wagner ist wohl den meisten nur dem Namen nach bekannt.
Das liegt daran, dass Wagner ein wagemutiger, eigenwilliger Neuerer war. Nicht jeder findet Gefallen an seiner Musik. Trotzdem war er ein musikalisches Genie.
Ein freiheitsliebender Wanderer
Wagner wurde 1813 in Leipzig in Sachsen geboren. Schon als Schüler interessierte er sich sehr für Musik, Dichtung und Theater. Er wünschte, wie viele Deutsche damals, mehr Freiheit für das Volk, mehr Demokratie, sowie auch die politische Einigung Deutschlands.
Zunächst führte Wagner als Musiker drei Jahrzehnte lang ein unruhiges Wanderleben (z. B. Königsberg, Riga, Paris, Dresden, Weimar, London, Moskau). Seine Werke mussten sich erst langsam durchsetzen. Eine früh geschlossene Ehe mit einer Schauspielerin verlief unglücklich und blieb kinderlos.
Mitunter musste Wagner vor seinen Gläubigern fliehen, weil er seine Schulden nicht bezahlen konnte. Er liebte teure Möbel, erlesene Stoffe und feine Düfte, durch die er zum Arbeiten angeregt wurde.
Wagner hatte 1849 in Dresden am Aufstand gegen den sächsischen König teilgenommen. Nur durch Zufall entging er seiner Verhaftung. Er musste daraufhin fliehen und über 10 Jahre im Ausland bleiben, bevor er wieder nach Deutschland zurückkehren durfte.
Große Musikdramen
Allmählich entstanden seine großen Musikdramen „Der fliegende Holländer“, „Tannhäuser“, „Lohengrin“, „Tristan und Isolde“, „Die Meistersinger von Nürnberg“ und „Der Ring des Nibelungen“ mit den Teilen „Das Rheingold“, „Die Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“. Die Stoffe dazu entnahm er meist der Welt der Sage.
Wagner wünschte eine Veränderung der Gesellschaft, Beseitigung alles „Reaktionären[1]„, Befreiung des Menschen von allen Fesseln des Staats, der Kirche, des Geldes. Er sympathisierte so auch mit den um ihre Rechte kämpfenden Arbeitern. Sein Ideal war der „neue freie Mensch“. Von daher geht es in allen seinen Musikdramen irgendwie um „Erlösung des Menschen“ (durch den Menschen).
Die Oper mit ihren Arien und ihrer „schönen“ Musik hielt Wagner für oberflächlich. Immer mehr hat er seine Werke deshalb „durchkomponiert“, das heißt; er hat sie statt mit Arien und Rezitativen[2] mit einer einzigen durchlaufenden „unendlichen“ Melodie versehen. Er verzichtete damit bewusst auf „Schönheit“ und Volkstümlichkeit seiner Werke.
Auch die Textbücher für seine Musik schrieb Wagner selbst. Musik und Wort sind für ihn gleichberechtigt. Daher nennt man seine Werke „Musikdramen“.
Wagner war überzeugt, dass das Kunstwerk der Zukunft die Vereinigung von Musik, Dichtung und Bild in einem einzigen Werk sein würde. Solch ein „Gesamtkunstwerk“ besäße dann nach seiner Meinung sittlichen Tiefgang.
König Ludwig II. von Bayern bewunderte Wagners Musik. 1864 errettete er ihn aus verzweifelter Geldnot und wurde sein Freund. Seitdem unterstützte er Wagner finanziell großzügig. Mit seiner Hilfe konnte Wagner in Bayreuth das Festspielhaus für die Aufführung seiner Werke errichten und sein Wohnhaus „Wahnfried“ erwerben.
Endlich hatte sich Wagner durchgesetzt und kam zur Ruhe. Seine Musik wurde von vielen bewundert, aber auch von nicht wenigen, z. B. Nietzsche, scharf kritisiert.
Wagner hatte mehrere Liebesbeziehungen zu Frauen. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete er die von ihrem Mann geschiedene Cosima von Bülow, eine Tochter von Franz Liszt. Sie wurde ihm eine ideale Ergänzung. Mit ihr hatte er drei Kinder.
Als letztes Werk schrieb Wagner noch den „Parsifal“. Er starb 1883 in Venedig.
Wagner war sehr temperamentvoll. Er liebte derbe[3] Späße. Er war ungeheuer produktiv. In der Musik duldete er keinen neben sich. Sein Glaube war der Humanismus.
In seinen Schriften hat er Richtiges und Falsches gesagt, auch Deutsch-Nationales und Antisemitisches. Er war ein Freund der Fürsten und zugleich ein Umstürzler.
Von seiner Musik gingen starke Wirkungen aus. Zu den Wagner-Festspielen, die alljährlich im Sommer in Bayreuth stattfinden, strömen Tausende aus aller Welt.
Hans Misdorf
Der Artikel erschien in „Der Weg“ 1/2008
[1] reaktionär: gegen soziale und politische Veränderungen – progressiv
[2] das Rezitativ: ein Sprechgesang, der von einem Instrument begleitet wird (z.B. in einer Oper oder in einem Oratorium) – Arie
[3] derb: nicht den Normen für anständiges Benehmen entsprechend – anstößig