Zum 50. Todestag des großen deutschen Schriftstellers Thomas Mann(1875-1955) ****

Erika Mann (1905-1969), die älteste Tochter von Thomas Mann und selbst eine hochbegabte Schauspielerin und Publizistin, widmet in ihrem Buch „Escape to life“ ein Kapitel dem „Bildnis des Vaters“. Sie schreibt: „Es ist schwer, es ist vielleicht fast unmöglich, eine Gestalt, der man menschlich so nahe ist, objektiv – als öffentliche Figur zu sehen und zu beurteilen. Das Werk und die Person sind kaum voneinander zu trennen – zumal in einem Fall wie dem von Thomas Mann, bei dem Werk und Person so innig zueinander gehören. Alle seine Bücher und auch die großen literarischen Essays haben autobiografischen Charakter, der etwa in den „Buddenbrooks“ und im „Tonio Kröger“ sich deutlich manifestiert[1], der in „Königliche Hoheit“, „Der Tod in Venedig“ und den „Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull“ ebenfalls vorhanden ist und der auch im „Zauberberg“ für jeden eindringlich Blickenden deutlich bleibt.“

Die Künstler-Problematik tritt im Schaffen von Thomas Mann erst während des 1. Weltkrieges zurück. In den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ manifestiert sich zum ersten Mal das Interesse des Autors für das Politische. Anfang der 30er Jahre warnt Thomas Mann vor der Gefahr des Faschismus in Deutschland. Er wird ebenso wie sein Bruder Heinrich Mann zu einem unversöhnlichen Feind des Faschismus. Aus Liebe zur Zukunft empörte er sich gegen die Gräuel[2] der Gegenwart. Solange es Zeit war, warnte er seine deutschen Mitbürger in vielen Artikeln und Reden. Und als es zu spät war, als das Unglück, das er hatte kommen sehen, ihm den Aufenthalt in der Heimat unmöglich machte, – da verstummte er zunächst gramvoll[3], um dann wieder Worte zu finden – glühende, zornige Worte. Worte, die zuversichtlich waren bei aller Empörung und bei allem Schmerz. Sie wurden nicht nur von der Welt gehört, auch in Deutschland fanden sie Echo. Der berühmte „Brief an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn“, diese große Antwort auf die lächerlich kleine Geste, die darin bestand, dem mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Autor der „Buddenbrooks“ den Ehrendoktor Titel wieder zu entziehen, dieser Brief, der Aufsehen in 5 Kontinenten machte, wurde auch in Deutschland gierig gelesen. Es lag Tausenden im Dritten Reich derart viel daran, Stimme und Meinung von Thomas Mann wieder zu hören, dass sie dafür Gefängnis und Konzentrationslager riskierten.

Erika Mann über ihre Kindheit: „Wann begannen wir zu begreifen, dass der Vater ein Schriftsteller und dass er berühmt war? Ziemlich früh, will mir scheinen, mit Hilfe der Leute. Sie nannten uns „Dichterkinder“ und wollten wissen, ob der Papa wieder was Schönes schreibt, aber wir schwiegen trotzig… Der Papa spielte mit uns. Und er zeichnete. Warum war er nicht Maler geworden? Und warum haben wir nicht besser aufgepasst auf die Karikaturen, die da so leichthin entstanden? Weg sind sie! Wie schön hat er auch Geige gespielt! Musiker? Natürlich, – auch das hätte er werden können. Ja, meinte er, natürlich hätte ich gekonnt, aber ich musste nicht – und schreiben, das musste ich – leider! Entzückt betrachteten wir uns die Zeichnungen. Und er hätte, dachten wir, doch Maler werden sollen – oder Musiker.“ 1933 verließ Thomas Mann Deutschland, d.h. er kehrte von einer Vortagsreise nicht nach Deutschland zurück. Nach Aufenthalten in Südfrankreich und in der Schweiz lehrte er ab 1939 als Gastprofessor an der Universität in Princeton in den USA, von 1942-1952 lebte er in Kalifornien. 1944 wurde er US-Bürger. 1952 kehrte er nach Europa zurück und lebte bis zu seinem Tod in Kilchberg bei Zürich.

Erika Mann: „Sein Grab liegt in Kilchberg bei Zürich. Und seinen Nachlass, die Manuskripte, Briefe, Bücher, den Schreibtisch, ja das ganze Arbeitszimmer haben wir verschenkt. Das Züricher Thomas-Mann-Archiv, der Eidgenössischen Technischen Hochschule angegliedert, ist zur höchst lebendigen Studienstätte geworden für junge Leute aus vieler Herren Länder. Wie sehr hätte ihn dies erfreut.“

 

Der Artikel erschien in „Der Weg“ 4/2005

[1] manifestieren: deutlich werden
[2] der Gräuel: (mst. Plural) entsetzliche, unmenschliche Taten
[3] gramvoll: tief bekümmert