Aus Literatur und Kultur – Zum 125. Geburtstag von Joachim Ringelnatz Gedichte von Joachim Ringelnatz
Schenken
Schenke groß und klein,
aber immer gediegen.
Wenn die Bedachten
die Gaben wiegen,
sei dein Gewissen rein.
Schenke herzlich und frei.
Schenke dabei,
was in dir wohnt
an Meinung, Geschmack und Humor,
sodass die eigene Freude zuvor
dich reichlich belohnt.
Schenke mit Geist ohne List,
sei eingedenk,
dass dein Geschenk
du selber bist.
Die Nagelfeile
Man stirbt hier vor Langeweile,
dachte die Nagelfeile –
beim Mittagessen!
Und machte sich wie von ungefähr
über den Fingernagel her –
beim Mittagessen!
Da begann eine silberne Gabel zu schrei`n:
„Meine Dame, sie sind hier nicht allein!“
Im Park
Ein ganz kleines Reh stand am ganz kleinen Baum
still und verklärt wie im Traum.
Das war des Nachts elf Uhr zwei.
Und dann kam ich um vier
morgens wieder vorbei.
Und da träumte noch immer das Tier.
Nun schlich ich mich leise – ich atmete kaum –
gegen den Wind an den Baum
und gab dem Reh einen ganz kleinen Stips.
Und da war es aus Gips.
Ein männlicher Briefmark erlebte
Ein männlicher Briefmark erlebte
was Schönes, bevor er klebte.
Er ward von einer Prinzessin beleckt.
Da war die Liebe in ihm erweckt.
Er wollte sie wieder küssen,
da hat er verreisen müssen.
So liebte er sie vergebens.
Das ist die Tragik des Lebens!
Bumerang
War einmal ein Bumerang –
war ein Weniges zu lang.
Bumerang flog ein Stück,
aber kam nicht mehr zurück.
Publikum – noch stundenlang –
wartete auf Bumerang.
„Etwas schief ins Leben gebaut“
Zum 125. Geburtstag von Joachim Ringelnatz
Joachim Ringelnatz (sein bürgerlicher Name Hans Bötticher war ihm zu spießig[1]) wird am 7. August 1883 in dem kleinen Städtchen Wurzen in Sachsen geboren. Nach mehreren Strafversetzungen verlässt er die Schule ohne Abschluss, fährt als Schiffsjunge und Matrose zur See. Wieder an Land übt er in vielen Städten unterschiedliche Berufe aus, arbeitet als Dekorateur, danach als Hausmeister in einer Dachpappenfabrik, als Burgführer und Bibliothekar des Barons von Münchhausen. Als Besitzer eines Münchner Tabakgeschäfts wäre er fast „bürgerlich“ geworden, doch bewahrt ihn davor der baldige Bankrott.
Er ist Mitte zwanzig, als er beschließt, etwas „Richtiges“ zu werden, nämlich „Hausdichter“. Sein Haus wird die berühmte Künstlerkneipe „Simplicissimus“ in München Schwabing. Als seine ersten Bücher mit Moritaten[2], Grotesken[3] und Nonsens-Versen[4] erscheinen, wird es in seinem Leben ernst: Im 1. Weltkrieg wird er Leutnant der Marine. Während der revolutionären Ereignisse des Jahres 1919 ergreift er jedoch Partei für die Soldatenräte und wird bei einer Schlägerei in Berlin so schwer verletzt, dass er fast erblindet. Er überlegt, ob er sich von nun an „Blindschleiche“ nennen soll, entscheidet sich aber für den Namen „Joachim Ringelnatz“. Unter diesem Pseudonym wird er Autor und Schauspieler an der Berliner Kleinkunstbühne „Schall und Rauch“ und geht auf Tourneen durch ganz Europa.
Mit seinem hintergründigen Humor und antibürgerlichen Protest feiert er überall Erfolge als „reisender Artist“, der, wie er selber sagt: „Etwas schief ins Leben gebaut ist“. Er schreibt Erzählungen, Kinderbücher, wird als Maler mit zahlreichen Ausstellungen erfolgreich. Mit den „Reisebriefen“ beginnt der Wandel des Humoristen Ringelnatz zu einem nachdenklichen Dichter, der die Welt zwar mit Humor betrachtet, dabei aber tiefe Einsichten gewinnt.
Sein Witz wird mit den Jahren leiser, seine Verse dienen nur noch selten ausschließlich dem komischen Effekt. Oft erteilt er Ratschläge und Ermahnungen, die er häufig auch an sich selbst richtet. Mitte der zwanziger Jahre entdeckt Ringelnatz eine neue Leidenschaft: das Fliegen. Wann immer es ihm sein Budget erlaubt, reist er per Flugzeug. Dichterisches Ergebnis dieser Reisen sind die „Flugzeuggedanken“ (1928/29).
1930 zieht Ringelnatz mit seiner Frau nach Berlin. Seine Lebensbedingungen verschlechtern sich, seine Verse werden immer nachdenklicher. Aus dieser Zeit stammt der Aphorismus: „Die Einsamkeit ist die Treppe zum Gedankenkeller. Sie ist selbstverständlich wertlos für denjenigen, der unten nichts auf Lager hat.“ Mit Beginn der Herrschaft der Nationalsozialisten müssen viele Kabaretts schließen. Ringelnatz kann kaum noch seinen Lebensunterhalt verdienen. Die Nazis erteilen ihm Auftrittsverbot, auch seine Bücher werden verboten. Am 17. November 1934 stirbt Ringelnatz in Berlin an den Folgen einer verschleppten Tuberkulose.
In den letzten Lebensjahren war Ringelnatz ein Trauernder und Verzweifelter, von schwerer Krankheit gezeichnet. Komik und Sarkasmus[5] halfen ihm, diese Jahre zu ertragen.
Der Artikel erschien in „Der Weg“ 4/2008
[1] wie ein Spießbürger (=jemand, der ein ruhiges und sicheres Leben führen möchte, bes. keine (politischen) Veränderungen will und immer das tut, was die Gesellschaft für richtig hält)
[2] die Moritat: 1. von einem Bänkelsänger (mit Drehorgelbegleitung) vorgetragenes Lied mit meist eintöniger Melodie, das eine schauerliche od. rührselige (auf einer Tafel in Bildern dargestellte) Geschichte zum Inhalt hat [u. mit einer belehrenden Moral endet]. 2. in der Art einer Moritat (1) verfasstes Gedicht, Lied.
[3] Form der derb-komischen, drastischen Darstellung, die mit bewusst karikierender Verzerrung oder satirischer Übersteigerung v.a. das Paradoxe, Dämonische herausarbeitet
[4] Genre des komischen, witzigen Gedichts, auch Unsinns-Poesie genannt, das mit paradoxen, absurden Wort- und Klangspielen die Vieldeutigkeit von Wahrnehmung und Wirklichkeit darstellt.
[5] eine Art starker Spott, mit dem man (oft in beleidigender Form) das Gegenteil von dem sagt, was man wirklich meint