Die Krähen schrein
und ziehen schwirren Flugs zur Stadt.
Bald wird es schnein –
weh dem, der keine Heimat hat!
Diese Zeilen eines Gedichts stammen von einem Mann, der „keine Heimat hatte“, weil er sich von Gott losgesagt hatte: Friedrich Nietzsche (1844 – 1900).
Nietzsche wuchs in einem christlichen Elternhaus auf. Sein Vater war evangelischer Pfarrer. Bei seiner Konfirmation glaubte er fest und von ganzem Herzen an Gott. Aber später auf dem Gymnasium gab er seinen Glauben auf. Er wusste von Gott und trennte sich trotzdem von ihm. Er wurde zum Kämpfer gegen Gott. „Gott ist tot!“, predigte er.
Ein kritischer Denker
Nietzsche war außergewöhnlich begabt und wurde bereits mit 24 Jahren in Basel Professor für Philologie. In zahlreichen Schriften bekämpfte er zunächst alles wissenschaftliche Theoretisieren, alle Überbewertung der „Vernunft“, alles Spießertum[1]. Stattdessen forderte er eine kraftvolle Lebensbejahung. Aus dem dionysischen rauschhaften Ergriffensein[2] erwächst alle echte Schöpfung.
Seine wichtigsten Schriften sind: „Die Geburt der Tragödie“, „Also sprach Zarathustra“, „Jenseits von Gut und Böse“, „Antichrist“ und „Der Wille zur Macht“. Er schreibt lebendig und lebensnah.
Heimatlos
Wegen zunehmender quälender Kopf- und Augenschmerzen ließ Nietzsche sich 1879 unter Aufgabe seiner Professur pensionieren.
Christen bekennen: Gott ist uns eine „Burg“, eine Zuflucht in Zeiten der Not (Psalm 91,2). Bei ihm finden wir „Geborgenheit[3]„ , ein „Zuhause“ auch in Krankheit und Zerbruch[4]. Nietzsche war jedoch in seiner Gottesferne „heimatlos“. Er führte nach seiner Pensionierung ein unruhiges Wanderleben in der Schweiz, in Norditalien, an der Riviera, ständig vergeblich Besserung und Heilung seines Gesundheitszustandes suchend.
Nietzsches äußerer Heimatlosigkeit entsprach seine innere. Jeder Mensch braucht ein Vorbild, ein Ideal, an dem er sich festhalten kann, zu dem er aufschauen kann. Unser einziger sicherer Halt im Leben kann aber kein Mensch sein, sondern nur Gott allein. Alle anderen Vorbilder und Größen sind von Menschen gemachte Götzen[5]. Sie enttäuschen uns früher oder später. Ja, sie können, wie bei Nietzsche, im Leben eines Menschen und in der Welt furchtbare Zerstörungen anrichten.
Nietzsche, der Gott verlassen hatte, schuf sich als Ersatz den „Über-Menschen“, den Herrenmenschen. Er setzte den Menschen an die Stelle Gottes. Er predigte den Gedanken der Heranbildung und Erziehung einer neuen menschlichen Elite-Schicht.
Zerstörung aller Werte
Dieser neue Herrenmensch ist an keine ethischen Normen gebunden. Er ist „das freie, herrliche Raubtier“, betont Nietzsche. Dieser neue Mensch soll das Dasein mit allen Sinnen genießen. Der „Leib“ soll sich durchsetzen gegen den „Geist“.
Weil das christliche Mitleid die Freude am Leben stört, lehnt Nietzsche es als „Sklavenmoral“ ab, als Vertröstung[6] der hier zu kurz Gekommenen[7] auf das Jenseits[8].
Gegenüber dem Elite-Menschen ist die Masse der Menschen nichts als „das Ungeziefer[9] in der Erdrinde“ (mit dem man umgehen kann, wie man will). Von daher lehnte Nietzsche auch Demokratie und Sozialismus ab.
Der Herrenmensch bejaht sein Schicksal, auch wenn es sinnlos ist, und gibt ihm damit einen Sinn (dies ist der Grundgedanke des späteren Existenzialismus von Heidegger und Sartre). [10]
Nietzsche bekämpfte so die gesamten abendländisch-christlichen Werte, denen Europa und die ganze Welt ihre moralischen Prinzipien und ihre Kultur verdanken. Millionen besonders junger Menschen wurden von Nietzsches verbrecherischen Ideen erfasst. Nietzsche wurde so zum geistigen Wegbereiter des Nationalsozialismus. Was er predigte, haben die Nazis auf schreckliche Weise in die Tat umgesetzt.
Nietzsche hat Millionen Menschen verführt. Sein Kampf gegen Gott trägt deutlich dämonisch-antichristliche Züge.
„Ohne Gott ist alles erlaubt“
Wir sehen an Nietzsche und seinem Schicksal: Ohne Gott sind wir innerlich und oft auch äußerlich heimatlos. Unser Leben hängt ab von unserer Ehrfurcht vor Gott.
Nietzsche meinte, der neue Herrenmensch ohne Gott würde eine neue höhere Kultur hervorbringen und höchstes Glück genießen. Das Gegenteil war der Fall. Die Verwirklichung seiner Gedanken durch die Nazis führte zur Zerstörung aller Kultur in vielen Ländern Europas und zu unbeschreiblichem Leid von Millionen von Menschen.
Dostojewski hat einmal gesagt: „Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt“ [11], bis hin zum Holocaust und zur Zerstörung aller Kultur. Nietzsche ist das beste Beispiel dafür.
Nietzsche, der Gottesleugner[12], starb in äußerster „Heimatlosigkeit“. Die letzten zwölf Jahre seines Lebens dämmerte er in geistiger Umnachtung dahin, d.h.er lebte nicht mehr bei vollem Bewusstsein.
Hans Misdorf
Der Artikel erschien in „Der Weg“ 2/2009
[1] engstirniges Denken und Handeln
[2] gemeint ist: ein tatkräftiges, engagiertes Zupacken
[3] Sicherheit
[4] sehr schwierige Situation, die uns überfordert
[5] falsches Idol
[6] Hoffnung auf etwas, was erst später geschieht
[7] jemand, der benachteiligt wird
[8] das Leben nach dem Tod
[9] Schädling
[10] beide sind Vertreter des Nihilismus
[11] Dies schreibt er in einem seiner Briefe. Für Dostojewskij sind die Person Christi und die Tatsache seiner Auferstehung das Zentrum des Evangeliums. Das Evangelium ist die gute Nachricht, (das Buch), in der (dem) wir Christus begegnen und in ihm das Leben finden. Davon war Dostojewskij überzeugt.
[12] ein Mensch, der die Existenz Gottes verneint