Vom getrosten Sterben eines jungen Sportlers ****

Paul Beßler und seine ältere Schwester wachsen in der Nähe der Stadt Halle[1] in einer Familie auf, die lieb, gebildet und strebsam[2] ist, aber bisher nichts mit Gott und Kirche zu tun hatte. Paul schafft das Gymnasium ohne Probleme. Er engagiert sich intensiv im Kanu-Club. Bei den Weltmeisterschaften im Drachenbootfahren[3] 2005 in Schwerin erlangt er mit den „Kanu Tigers“ zwei Goldmedaillen und eine Silbermedaille; 2007 kehrt sein Team von den Weltmeisterschaften in Frankreich mit sechs Titeln als erfolgreichste Mannschaft nach Halle zurück. Nach dem Abitur 2010 zieht es Paul nach Australien. Er arbeitet zunächst auf einer Rinder- und später auf einer Schafsfarm. Nach seiner Rückkehr fängt er an, in Thüringen Mechatronik[4] zu studieren. Ein Mitstudent spricht ihn als Einziger in seinem bisherigen Leben auf den christlichen Glauben an. Paul hört interessiert zu, aber es geht nicht in die Tiefe.

Diagnose: Gehirntumor

Im Juli 2012 wird er an einem Wochenende plötzlich zweimal hintereinander bewusstlos und erleidet Krampfanfälle. Im Krankenhaus stellt man einen Gehirntumor[5] fest. Schon am Mittwoch wird Paul operiert. Für die Bestrahlungen und die Chemotherapien kommt er in seine Heimatstadt Halle. Bald muss er erneut am Kopf operiert werden. Nach einer Reha[6] geht die Behandlung weiter.

Im November hat er plötzlich starke Schmerzen im Rücken und kann sein linkes Bein nicht mehr richtig bewegen. Eine Ärztin überweist ihn in die Notaufnahme des Universitätsklinikums[7]. Er muss sofort mehrfach operiert werden. Überall finden sich Metastasen[8] und es gibt Komplikationen.

Im Januar erfährt der 23-Jährige, dass er noch ungefähr drei Tage zu leben hat. Die Eltern sind verzweifelt. Paul klagt: „Ich bin noch zu jung, um schon zu sterben.“

Das erste Gebet

Am 31. Januar wird Paul auf die onkologische[9] Abteilung des Universitätsklinikums verlegt. Die Krebsexperten sehen eine kleine Chance. Sie wollen noch eine Chemotherapie[10] versuchen. Plötzlich ist wieder Hoffnung da. Paul wird von einem Team von Onkologen[11] betreut, zu dem auch eine junge Ärztin gehört. Sie strahlt – wie Paul sagt – einen tiefen inneren Frieden aus und erzählt dem Verzweifelten von ihrem christlichen Glauben, der ihr Sinn und Halt im Leben gibt. Paul ist interessiert. Er stellt Fragen, sie antwortet. Dann ist es soweit: „Wollen wir nicht einmal zusammen beten?“, fragt sie ihn. Paul: „Wie soll das denn gehen? Was muss ich denn da sagen?“ – „Sag einfach, was du auf dem Herzen hast.“ Die Ärztin fährt Paul im Rollstuhl in den „Raum der Stille“ des Uniklinikums. „Was wünschst du dir eigentlich von Gott?“, fragt sie. Paul: „Ich möchte einmal das Gefühl haben, dass ich gehalten werde, dass ich geborgen sein kann.“ Beide beten miteinander.

Der erste Gottesdienst

Paul kämpft jeden Tag weiter. Wenn trotz der Chemotherapie die Tumore wieder gewachsen sind und Paul große Angst hat, betet er mit „seiner“ Ärztin zusammen. Eines Tages im Juni fragt sie ihn: „Paul, möchtest du nicht dein Leben Jesus Christus anvertrauen?“ Berührt von der Frage sagt Paul: „Ja, ich will.“ Er spürt, dass er tatsächlich von Gott gehalten wird.

Am 7. Juli erlebt Paul den ersten und einzigen Gottesdienst in einem evangelischen Kloster. In der Predigt geht es um die Taufe. Nun will sich Paul taufen lassen. Ein Termin soll später festgelegt werden, wenn es ihm besser geht.

Lebenswende mit Konsequenzen

In der Nacht zum 18. Juli verschlechtert sich Pauls Zustand dramatisch. Der Vater erinnert die Ärztin an den Taufwunsch seines Sohnes. Sie ruft im Kloster an, und der Prior[12] kommt und tauft Paul im Krankenhaus inmitten von Apparaturen, dem Ticken und Piepsen der Geräte. Paul wünscht sich als Taufspruch einen Bibelvers, in dem „Erlösung“[13] vorkommt. Der Prior hat Jesaja 43,1 ausgewählt: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.“ Seine Eltern sind tief berührt. Die Taufe ist für Paul der Höhepunkt seines Lebens. Er erfährt nun ein so großes Gefühl von Frieden und Geborgenheit, dass er vielen bekanntmachen möchte: „Gott hilft in schwierigsten Situationen, und man kann im Glauben an Jesus Christus getröstet sterben.“ Er nutzt jede Gelegenheit, um dies weiterzusagen.

Pauls Wende hat ganz konkrete Konsequenzen. Vater und Mutter lernen das von ihm so geliebte „Vaterunser“[14] auswendig und lesen ihm auf seinen Wunsch hin abwechselnd aus der Bibel vor. Zuvor hatten sie das Buch nie in der Hand gehabt.

Ab dem 24. Juli ist Paul zum Sterben zu Hause. Er lädt täglich noch Freunde zu sich ein und bittet sie, ihm aus der Bibel vorzulesen, auch wenn er schlafe. Viele seiner Sportkameraden schauen nun erstmals in das für sie fremde Buch. Er betet mit ihnen und für sie und möchte, dass sie zu seiner Beerdingung kommen: nicht in schwarzen, sondern in bunten Kleidern, „denn ich bin ja dann im Himmel, wo es mir gut geht.“ Als „seiner“ Ärztin Tränen über das Gesicht laufen, sagt Paul: „Warum weinst du, ich gehe doch zu Gott! Dort werde ich dich einmal mit offenen Armen empfangen.“

Ein friedevolles Ende

Am 31. Juli wird Pauls Zustand immer kritischer. Eine Palliativärztin[15] gibt ihm Medikamente zur Linderung der Schmerzen. Am Abend kommt „seine“ Ärztin hinzu. Gemeinsam mit den Eltern betet sie aus dem Kirchengesangbuch das Abschiedsgebet für Sterbende.

Danach spricht sie ihm Gottes Segen zu und zeichnet das Kreuz auf seine Stirn. Nach dem Segen wird Paul plötzlich ganz ruhig. Die Palliativärztin äußert: „Ich habe schon viele Menschen sterben sehen, aber so einen friedvollen Tod habe ich noch nie erlebt.“

Am 17. August 2013 wird Paul bestattet[16]. Viele der Trauergäste haben bereits dank des Bekenntnisses von Paul erfahren, was christlicher Glaube bedeutet: Er trägt und hält sogar in der Stunde, vor der fast alle Menschen Angst haben – in der Stunde des Todes.

Helmuth Mathies
(mit freundlicher Genehmigung übernommen aus dem Nachrichtenmagazin „Idea Spektrum“ 33/14. August 2013, S. 16 ff; gekürzt und überarbeitet)

 

[1] Halle liegt in Ostdeutschland im Bundesland Sachsen-Anhalt.
[2] fleißig
[3] ein besonders langes, offenes Paddelboot, das ursprünglich aus China stammt
[4] zusammengesetztes Wort aus Mechanik und Elektronik
[5] Tumor = Geschwulst, Gewächs, Wucherung (Krebsgeschwür)
[6] Abkürzung für Rehabilitation = Zeit zur Wiedereingliederung eines Kranken in das alltägliche und berufliche Leben
[7] Krankenhäuser, die zu einer Universität gehören
[8] Metastase = neuer Tumor, der aus dem ersten Tumor an anderer Stelle entstand
[9] Onkologie = Teilgebiet der Medizin, das sich mit Tumor-Erkrankungen (Krebserkrankungen) befasst
[10] Behandlung von Krankheiten mit chemischen Mitteln; wird sehr oft bei Krebserkrankungen eingesetzt
[11] Facharzt für Tumor-/Krebserkrankungen
[12] Leiter eines Klosters
[13] Die Bibel bezeugt, dass Gott jedem Menschen durch Jesus Christus Erlösung anbietet, nämlich die Vergebung der Sünden (Kolosser 1 Verse 13-14).
[14] ein sehr bekanntes Gebet der Christen; es steht in der Bibel in Matthäus 6 Verse 9-13
[15] Eine Ärztin, die Patienten mit einer unheilbaren, weit fortgeschrittenen Krankheit behandelt, um ihre Beschwerden und Schmerzen zu lindern.
[16] Beisetzung eines Toten im Sarg oder in einer Urne; beerdigt