Glaube doch zu Hause und schweige

Bis zum 14. September 1997 lebte ich ein Leben ohne Gott und tat eigentlich fast alles, was ihm nicht gefiel. Der Name Allah war zwar öfter auf meinen Lippen, aber mein Herz war weit weg von einem Gott. Doch jener Tag krempelte mein ganzes Leben um. Der Herr sagte zu mir: „Komm zu mir, …“ Und ich ging zu ihm. In den Augen meiner Verwandten, Freunden und Bekannten bin ich damit zu einem Verräter des Volkes und seiner Religion geworden. Ich wurde von ihnen verstoßen. Doch in den Augen Gottes bin ich zu einer „neuen Kreatur“ geworden.

An jenem Tag sollte ich nach Astana fahren, um mich operieren zu lassen. Ich fühlte, dass in meinem Leben etwas sehr Ernstes vor sich ging und ich mit Gott ins Reine kommen sollte. Aber in die Moschee wollte ich nicht gehen. Ich wusste, dass der Mullah den Segen Gottes nur gegen Geld zuspricht. Meine Frau Aischan und ihre Schwestern aber schienen irgendein Ziel zu haben.

Ich fragte meine Frau: „Wohin geht ihr?“ Sie antworteten mir: „In ein Gebetshaus. Jemand hat Geburtstag und das feiern wir.“ Sie baten mich um Erlaubnis, und ich entschied kurzerhand, sie zu begleiten. Erst später habe ich erfahren, dass Aischan sich bereits bekehrt hatte, mir aber aus Angst noch nichts erzählt hatte.

Im Gebetshaus waren mir völlig unbekannte Menschen. Doch sie nahmen mich sehr herzlich auf. Sie freuten sich einfach. Ich saß wie benommen da und dachte: „Was sind das für Leute? Warum habe ich solche Menschen früher noch nie getroffen?“ Plötzlich weinte ich. Ich schämte mich und ging nach draußen. Das Erlebte ließ mich nicht los. Das Gemeindehaus befindet sich noch im Bau und sieht von außen schäbig aus. Drinnen sitzen aber diese Menschen und loben Gott. Auf dem Tisch haben sie nur Tee und ein kleines Stückchen Torte. Und doch sind sie zufrieden. Was ist das Geheimnis ihrer Zufriedenheit, das mir fehlt? Ich ging zurück in den Raum und musste wieder weinen. Dann kam Nikolaj auf mich zu und erklärte mir einige Dinge über den Glauben an Jesus Christus. „Ich glaube, Sie sollten beten“, sagte er mir anschließend. Ich fragte ihn, warum und wie das ginge. „Ich glaube, Ihre Seele schreit zu Gott, und Sie dürfen ihm Ihr Herz ausschütten.“ – „Ich kann nicht beten. Können nicht Sie für mich beten?“ Das tat er, und ich schloss mich in meinem Herzen seinem Gebet an.

Ich fuhr nach Astana zum Krankenhaus. Nach der Operation war ich in einem sehr schlechten Zustand. Ich konnte weder essen noch trinken. Am fünften Tag kam der Professor. Er fragte mich: „Glauben Sie an Gott?“ – „Ja“, war meine Antwort. „Waren Sie in der Moschee und haben Sie ein Opfer gegeben? Sie müssen jetzt an Allah glauben, nur er kann Sie retten.“ Da wusste ich, wie schlimm es um mich stand.

Am siebten Tag hatte ich fürchterliche Kopfschmerzen, ich konnte nicht laufen, und jetzt konnte ich noch nicht einmal mehr den Kopf heben. Nur die Hände konnte ich bewegen, und an der einen Hand hatte ich die Infusionen, in der anderen ein Neues Testament. Ich versuchte zu lesen, war aber zu schwach dazu. Meiner Frau wurde gesagt, sie soll nach Hause gehen, sie könne mir nicht mehr helfen. Weinend ging sie weg.

Die folgende Nacht wurde ich unbarmherzig von schlimmen Schmerzen gequält. Ich war sicher, dass ich sterben werde. Ich überlegte, bei wem ich vor meinem Tod noch um Vergebung bitten sollte. Dann dachte ich: „Bei Gott.“ Ich betete: „Gott, vergib mir um meiner Kinder willen, und wenn du willst, dann rette mich.“

Gleich nachdem ich das in meinen Gedanken gebetet hatte, sah ich vor mir einen hellen Lichtkreis und eine Gestalt. Mir war sofort klar, dass es Jesus ist. Er sagte auf kasachisch zu mir: „Mein Sohn, geht es dir schlecht?“ Ich antwortete: „Schlecht.“ „Glaubst du an mich?“ – Ich dachte krampfhaft nach: „Aber ich bin doch als Kasache geboren. Deswegen bin ich Moslem. Mohamed sollte doch zu mir kommen. Warum bist du gekommen, Jesus?“ Da schaute er mich traurig und doch eindringlich an. „Glaubst du an mich?“, fragte er noch einmal.

Plötzlich erkannte ich, dass Jesus Gottes Sohn ist. Er ist nicht nur ein Prophet, wie es im Koran steht, sondern er lebt. Als ich Gott in meiner Not anrief, ist er zu mir gekommen. In meinem Inneren sagte ich: „Ja, ich glaube, dass du der Sohn Gottes bist.“ In diesem Moment nahm ich seine Rettungstat am Kreuz für mich an.

Daraufhin hatte ich gleich noch mehr Schmerzen, so als läge ein riesiger Stein auf meinem Bauch. Dann aber verschwanden sie plötzlich, und ich fühlte mich sehr leicht. Obwohl ich in den vergangenen Tagen stets ans Bett gefesselt war, stand ich auf, ging umher, legte mich wieder hin und schlief ein.

Am nächsten Morgen staunten die Ärzte und riefen andere herbei: „Wie kann das sein? Was ist passiert?“ – „Jesus ist zu mir gekommen und hat mich gefragt: ,Glaubst du an mich?‘, und ich habe gesagt: ‚Ich glaube.’“ Die Ärzte meinten: „Es ist ein Wunder geschehen. Diese Besserung ist medizinisch nicht zu erklären.“

Zu Hause kamen Verwandte mich besuchen und freuten sich, dass ich noch am Leben war. Ich sagte ihnen: „Jesus ist zu mir gekommen und hat mich auf kasachisch gefragt: ,Glaubst du an mich?‘, und ich habe gesagt: ,Ich glaube.‘“ Das haben sie zuerst akzeptiert. Als ich aber anfing, in die christliche Gemeinde zu gehen, war es mit der Akzeptanz vorbei: „Glaube doch zu Hause und schweige.“ – „Nein, ich kann das nicht. Der Sohn Gottes hat mich gerettet. Ihm möchte ich jetzt dienen. Ich kann Gott und euch nicht betrügen. Ich werde weiter zu den Versammlungen gehen.“ Dann drohten mir die Verwandten meiner Frau: „Wenn du dich nicht von Jesus lossagst, dann wirst du kein Haus, keine Frau, keine Kinder, gar nichts mehr haben, und wir lassen es nicht zu, dass du in dieser Stadt bleibst.“

Doch ich blieb standhaft, und sie machten ihre Drohungen wahr.

Da stand ich nun im Dezember auf der Straße in bitterer Kälte ohne eine Jacke. Ich erinnerte mich an den Bibelvers: „Seid immer fröhlich, betet jederzeit und seid immer dankbar.“ „Doch wo ist der Grund zur Freude?“, dachte ich. „Ich stehe hier draußen und friere. Alles, was ich habe, ist zu Hause, wohin ich nicht zurück kann.“ Da kamen mir Jesu Worte in den Sinn: „Mich haben sie verfolgt, und auch ihr werdet Verfolgung leiden.“ Ich fiel auf die Knie und betete: „Herr, du hast das vor 2000 Jahren vorausgesagt. Du hast auch gesagt, dass die Christen um deines Namens willen gehasst werden. Du weißt, sie haben mich rausgeworfen. Sie haben mir alles genommen. Hilf mir, Herr!“ Danach ging ich den weiten Weg zum Haus von Nikolaj zu Fuß.

Am nächsten Morgen kamen große Zweifel. Gestern noch mit Frau und Kindern, wohlhabend, bei den Verwandten und Freunden angesehen. Heute sitze ich bei den fremden Menschen und weine. Auf dem Tisch lag eine große, dicke Bibel. Ich schlug sie willkürlich auf und meine Augen sind bei Kapitel 41 des Jesajabuches stehen geblieben.

Von diesen Worten überwältigt fiel ich auf die Knie: „Herr, vergib mir, dass ich in der Stunde dieser Prüfung schwach geworden bin und unzufrieden.“ So stärkte mich Gott durch sein Wort.

Ich fuhr nach Tschimkent zu meinen Eltern. Die Kunde darüber, dass ich mich verändert hatte, war schon bis hierher vorgedrungen. Die Verwandten, die bei meinen Eltern bereits auf mich warteten, schlugen mich sogleich. Am nächsten Tag brachten sie mich in eine Moschee. Vor mir saßen fünf Mullahs, neben mir meine Eltern. Ich sollte ihnen alles erzählen. Das tat ich. Danach sagte einer der Mullahs: „Ja, Jesus ist lebendig, das steht auch im Koran. Es kommt vor, dass er erscheint.“ – Ermutigt fragte ich ihn: „Mein Vater hier flucht auf Jesus mit schrecklichen Worten. Ist das richtig?“ Da nahm der Mullah den Koran und las: „Mose, Jesus und Mohamed sind alle Propheten für Moslems.“ Dann fügte er hinzu: „Jesus ist der Größte unter ihnen, und Moslems dürfen kein schlechtes Wort über ihn reden.“ – Ich fragte weiter: „Was steht noch im Koran über Jesus?“ Der Mullah las weiter: „Am Tag des schrecklichen Gerichts kommt Jesus und wird alle mit seinem gerechten Gericht richten.“ – Ich freute mich: „Seht ihr! Dann ist mein Glaube nicht falsch.“ – „Ja, aber Jesus machte alle zu Moslems.“ „Was heißt eigentlich das Wort Moslem?“ – „Ein aufrichtig an Gott Glaubender.“ „Dann bin ich ja auch ein Moslem, denn ich will aufrichtig an Gott glauben. Ich möchte das tun, was der Herr in seinem Buch sagt. Wenn das die Wahrheit ist, warum sagen Sie den Leuten nicht die Wahrheit?“ – „Ich arbeite hier.“ – „Dann haben Sie keinen Glauben!“ – „In mir ist kein Glaube, aber in dir.“

Nach diesen Worten sprangen meine Eltern empört auf: „Was soll denn das? Sie sollten uns helfen und ihn zurecht bringen. Stattdessen unterstützen Sie ihn noch?“ Da erschrak der Mullah und meinte: „Gleich kommt noch ein höherer Mullah, der mehr weiß und alles richtig erklären wird.“ Wir warteten auf ihn. Nachdem ich ihm meine Erlebnisse geschildert hatte, fragte er: „In welche Gemeinde gehst du?“ -„Sie nennen sich Evangeliumschristen-Baptisten“ – „Dann ist das ein verlorener Mensch für uns. Wenn er dorthin geht, können wir ihn nicht mehr überzeugen. Solche bleiben fest. Ihn könnte man nur noch steinigen.“ Schnell verließ ich daraufhin diesen Ort.

Einen ganzen Monat durfte ich meine Frau nicht sehen. Sie war mit den Kindern in einem Zimmer eingeschlossen. Später berichtete sie: „Jeden Tag spuckten sie mir ins Gesicht, beschimpften mich. Die Bibel haben sie zerrissen und die Blätter in allen Zimmern verteilt, um darauf herumzulaufen und auf sie zu spucken. Dem psychischen Druck konnte ich kaum standhalten, war verzweifelt und kam in Versuchung, mich zu erhängen. Aber die Kinder ließen mich Tag und Nacht nicht allein und bewachten mich.“ Ich versuchte vergeblich, meine Frau aus dem Haus zu holen. Die Verwandten schlugen mich, beschuldigten mich bei der Polizei, die mich mehrmals festnahm. Die Gemeinde unterstützte mich mit ihren Gebeten und durch ihre Liebe. Zum Schluss half mir die Polizei, zu meiner Frau vorzudringen und sie und die Kinder mitzunehmen.

Nun haben wir die Möglichkeit, die Gemeinde zu besuchen, im Glauben zu wachsen, Gott zu loben und von unserem Erleben weiterzusagen. Leider konnten wir uns noch nicht mit unseren Familien versöhnen. Aber wir beten, dass sie sich alle eines Tages nicht nur mit uns, sondern auch mit Gott versöhnen und ihn als liebenden Vater kennen lernen.

Nurlan

Mit freundlicher Genehmigung von LICHT IM OSTEN, Korntal

Der Artikel erschien in „Der Weg“ Internetausgabe 2005