Die Entstehung des Grundgesetzes ***

Die meisten Staaten der Welt haben eine Verfassung. Darin ist festgelegt, wie sie regiert werden.

Deutschland hatte von 1919 bis 1933 die sogenannte „Weimarer Verfassung“. Sie war in Weimar, der Stadt Goethes und Schillers, aus dem „Geist von Weimar“ heraus entstanden, dem Geist der Humanität. Sie betonte also die Freiheit und Würde des Menschen.

Die Nationalsozialisten haben diese Verfassung 1933 außer Kraft gesetzt. Deutschland wurde autoritär von Hitler und seiner Partei regiert. Millionen Menschen wurden widerrechtlich verhaftet, misshandelt und umgebracht.

Nach dem Krieg herrschten in Deutschland zunächst die vier Siegermächte. Sie hatten das Land unter sich in eine englische, amerikanische, französische und russische Besatzungszone aufgeteilt.

Bald beschlossen die westlichen Siegermächte (USA, Frankreich und England) jedoch, Deutschland wieder als demokratischen Staat mit eigener Regierung erstehen zu lassen. Die Westmächte taten das auch deshalb, weil sie Deutschland als Bundesgenossen gegen die Sowjetunion und den Kommunismus haben wollten. So begann die Epoche des „Kalten Krieges“.

1948 waren die deutschen Bundesländer bereits wieder entstanden. Die drei Westmächte wünschten deshalb von den Ministerpräsidenten ihres Besatzungsgebiets die Ausarbeitung einer Verfassung für einen Weststaat. Das sollte durch eine vom Volk gewählte Versammlung geschehen. Anschließend sollte die Verfassung vom Volk angenommen werden.

Die Ministerpräsidenten der westlichen Bundesländer lehnten jedoch die Beteiligung des Volkes ab, denn sie hofften auf eine baldige Vereinigung mit der sowjetischen Besatzungszone, also auf eine Wiederherstellung eines deutschen Staates. Dann würde wahrscheinlich eine neue Verfassung nötig werden. Deshalb sollte die jetzige Verfassung nur eine Zwischenlösung werden. Wenn sie aber vom Volk bestätigt würde, würde sie zu sehr als endgültig wirken.

So kam es, dass nur eine Versammlung von 65 Vertretern der westlichen Länderparlamente, ein „Parlamentarischer Rat“, die Verfassung ausarbeitete.

Die Verfassung wurde auch nur „Grundgesetz“ genannt: ein „grund“-legendes Gesetzeswerk zur Regierung des Staates.

In acht Monaten erstellte der Parlamentarische Rat die neue (west-) deutsche Verfassung. Sie wurde von den Länderparlamenten – und nicht vom Volk – beschlossen.

Die große Freiheit der Weimarer Verfassung war damals von den Nazis und von den Kommunisten zur Bekämpfung der staatlichen Autorität missbraucht worden. Dadurch waren die Nazis an die Macht gekommen. Deshalb wurde die Stellung der Regierung jetzt gestärkt: Kanzlersturz[1] nur durch Neuwahl eines Nachfolgers; Beschränkung auf wenige größere Parteien durch die fünf Prozent-Sperrklausel[2] (statt der früheren Parteienzersplitterung); Beschränkung der Macht des Bundespräsidenten auf rein repräsentative Aufgaben (statt seiner früheren Möglichkeit, durch „Notverordnungen“ Gesetze zu beschließen); Erlassen von Gesetzen nur durch das Parlament (statt wie früher auch durch Volksabstimmung).

Die „Menschenrechte“ (Schutz von Leben und Freiheit des einzelnen) wurden angesichts des Terrors unter den Nazis fest in der Verfassung verankert.

Nach neun Monaten Arbeit wurde das Grundgesetz auf der Schlusssitzung des Parlamentarischen Rates am 23. Mai 1949 feierlich verkündet. Die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates und die elf Ministerpräsidenten unterschrieben die Originalausfertigung. Das Grundgesetz trat mit Ablauf des Tages in Kraft. Die Bundesrepublik Deutschland war gegründet. Konrad Adenauer kommentierte als Präsident des Parlamentarischen Rates diesen historischen Moment in seiner Ansprache folgendermaßen: „Heute, am 23. Mai 1949, beginnt ein neuer Abschnitt in der wechselvollen Geschichte unseres Volkes.“

Hans Misdorf

In einem weiteren Artikel wird die Entwicklung des Grundgesetzes bis heute besprochen.

Präambel

Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern, um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben, kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen.

Es hat auch für jene Deutsche gehandelt, denen mitzuwirken versagt war.

Das gesamt Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.

Artikel 1

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Der Artikel erschien in „Der Weg“ 4/2009

[1] Der Bundeskanzler ist das höchste Regierungsamt.
[2] Eine Partei muss bei Wahlen mindestens 5% der Wählerstimmen erringen, um Vertreter in den Bundestag entsenden zu können.