Zollverein, mit seinen erhaltenen vier von ehemals fünf Schachtanlagen, den Anlagen unter Tage, der zentralen Kokerei, den Halden, seinen Verkehrsanlagen und seinen Arbeitersiedlungen, kurz: die „Industrielle Kulturlandschaft Zollverein“, steht beispielhaft für die Kohle fördernde und verarbeitende Industrie des 19. und 20. Jahrhunderts. Zollverein ist die weltweit einzige Anlage, an der sich die Komplexität dieses Industriezweiges heute noch ablesen lässt. Zollverein ist deshalb Symbol für die Industriekultur im Ruhrgebiet, jener deutschen Region, die von der sozialen, ökonomischen, und industriellen Geschichte des Kohle- und Stahlzeitalters bis heute geprägt ist wie keine andere.
Ein ständiges Wachstum
Das „schwarze Gold“, die großen Kohlenvorräte an der Ruhr, galten im 19. Jahrhundert als der Energieträger der Zukunft. 1847 kauft der Duisburger Industrielle Franz Haniel (1779-1868) 13 zusammenhängende Grubenfelder und nannte die entstehende Zeche „Zollverein“ nach der 1834 in Kraft getretenen Freihandelszone aus 14 deutschen Staaten. Der Name war Programm, stand der Deutsche Zollverein doch für wirtschaftlichen Aufschwung und Wohlstand. Tatsächlich wuchs Zollverein auch kontinuierlich: Wurden 1851 im ersten Jahr der Förderung mit 256 Bergleuten 13.000 t Kohle gefördert, hatte sich bis 1890 die Belegschaft verzehnfacht, und die Fördermenge war mit 1 Mio. Tonnen auf das 75-fache nahezu explodiert. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs wuchs die Zeche auf vier selbstständige Schachtanlagen mit insgesamt 10 Schächten.
Die Anlagen wurden weiterhin modernisiert, und es wurde rationalisiert: Dies bewirkte eine Kapazitätssteigerung auf das Vierfache. Mit der Inbetriebnahme von Schacht XII am 1. Februar 1932 stellten alle anderen Förderschächte auf Zollverein ihre Arbeit ein. Mit 12.000 t täglicher Kohleförderung war Zollverein die größte Zeche des Ruhrgebiets geworden. Im Vergleich zu den Anfängen wurde nun an einem Tag gefördert, wozu man 1851 ein ganzes Jahr gebraucht hatte.
„Die schönste Zeche der Welt“
Zollverein war aber nicht nur die größte Zeche des Reviers, sie wurde auch als die „schönste Zeche der Welt“ bezeichnet. Architektonisch im Stil der Neuen Sachlichkeit[1] gehalten, dominieren strenge Symmetrie und Geometrie im Bau der einzelnen Gebäude, die in parallelen Linien verlaufen und somit zwei sich rechtwinklig kreuzende Achsen bilden. Inmitten der ersten Achse, der Produktionsachse, ragt der 55 Meter hohe Doppelbock, das Fördergerüst, hervor. Am Ende der zweiten Achse, der Versorgungsachse, stand der 106 Meter hohe Kamin des Kesselhauses, der 1979 abgerissen werden musste. Einheitlich rote Backsteinfassaden im Stahlfachwerk bestimmen das Bild. Schacht XII wird als Gesamtheit begriffen, als Monument.
Im gleichen Stil wurde 1957 bis 1961 die Kokerei westlich von Schacht XII gebaut und am 12. September 1961 in Betrieb genommen. Nach ihrer Erweiterung in den 70er Jahren „buk“ sie täglich auf der „schwarzen“ Seite in 304 Öfen bei 1.250 Grad 10.000 t Kohle zu 8.600 t Koks. Die dabei entstehenden Gase wurden auf der „weißen“ Seite zu Ammoniak, Rohbenzol und Teer weiterverarbeitet. In Spitzenzeiten hatte die Kokerei 1.000 Mitarbeiter.
Das Ende des Kohle- und Stahlzeitalters machte auch vor Zollverein nicht Halt. Die größte Zeche des Ruhrgebiets konnte trotz aller Rationalisierungsbemühungen dem Kostendruck ausländischer Kohleförderung nicht Stand halten. Am 23. Dezember 1986 fuhr die letzte Schicht nach 135 Jahren Bergbaubetrieb ein. Damit schloss die letzte der Essener Zechen ihre Tore. Am 30. Juni 1993 folgte die Kokerei. Eine Ära ging zu Ende.
Die Zeche im Wandel
Vielerorts mussten ausgediente Industrieanlagen neuen Nutzungen wie Gewerbegebieten oder Wohnsiedlungen weichen. Auch die Zeche Zollverein sollte eigentlich abgerissen werden, allerdings waren die Bestrebungen zum Erhalt der Anlagen mit seiner herausragenden Architektur und seiner wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Bedeutung für die ganze Region stärker. Einige Tage vor der letzten Schicht wurde Zollverein am 16. Dezember 1986 in die Denkmalliste der Stadt Essen eingetragen.
Erhalt durch andere Nutzung war das Prinzip. Schon 1987 entstand die Idee, Zollverein kulturell zu nutzen. Die Hallen wurden denkmalgerecht saniert, neue Mieter zogen ein. Dies waren vor allem Künstler und Kreative. Kulturveranstaltungen und der Denkmalpfad zogen mehr und mehr Besucher in die einst „Verbotene Stadt“. Auch die Kokerei konnte für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Am 14. Dezember 2001 wurde die Zeche Zollverein dann in die Weltkulturerbeliste der UNESCO aufgenommen. Die Sanierung der Hallen und Flächen schreitet weiter voran, neue Nutzer werden gesucht. Auch die Kohlenwäsche, das größte Übertagegebäude Zollvereins, wurde 2003-2006 umfassend umgebaut, vom Maschinenpark zum Museum. Die Fassade und die Maschinen wurden saniert und restauriert, moderne Technik und Versorgungseinrichtungen zogen ein. Schließlich wurde eine 58 Meter lange, freistehende Rolltreppe gebaut. Sie führt direkt in die 24-Meter-Ebene, das neue Besucherzentrum Zollvereins und ab 2009 „Portal der Industriekultur“. Im Herbst 2009 wird das Ruhr-Museum einziehen, das Geschichte, Gedächtnis und Gegenwart des Ruhrgebiets thematisiert. Auch der Zollverein-Park nimmt Gestalt an, als Naherholungsgebiet für die Anwohner und Besucher des Weltkulturerbes bietet er auf ehemaligen Halden Platz für seltene Flora und Fauna.
Etwa 1.000 Arbeitsplätze sind auf Zollverein seither entstanden. Zollverein ist das Kreativzentrum des Ruhrgebiets geworden. 700.000 Besucher kommen im Jahr nach Zollverein, um sich das größte Industriedenkmal des Reviers anzusehen.
Der Artikel erschien in „Der Weg“ 3/2008
[1] Begriff für eine in den 20er-Jahren in Deutschland entwickelte Kunstrichtung, für die die objektive und präzise Realitätswiedergabe charakteristisches Anliegen war.