Unterwegs im Oberbergischen Land

Das rund 920 km2 große Oberbergische Land ist eine Mittelgebirgslandschaft mit Erhebungen bis zu 500 Meter. Hier leben und arbeiten fast 280.000 Einwohner. Der Name „Oberbergisch“ ist dabei nicht auf die natürlichen Erhebungen zurück zu führen, sondern auf die früheren Landesherren, die Grafen von Berg.

Eine schöne Landschaft

Enge Täler, Fichtenwälder, Bäche, Stauseen[1], grüne Wiesen, Häuser in den typischen bergischen Farben: schwarz, weiß, grün mit Schieferbehang bestimmen die Landschaft. Am Himmel gleiten Segelflieger oder setzen Heißluftballons bunte Punkte. Das Oberbergische Land, oder „Oberberg“, wie die Gegend hier meist kurz genannt wird, ist schön, vor allem wenn die Sonne scheint. Früher war es eine arme Gegend, weil die Böden nicht sehr fruchtbar sind. Die Wasserkraft ermöglichte jedoch schon früh den Einsatz von Maschinen. So entstanden die ersten Schmieden, später kamen Textil- und Autozuliefererindustrie[2] dazu, sowie der Tourismus. Eisenbahn und Autobahn verbinden die Gegend mit Köln im Westen und Olpe im Osten.

Ein Vielvölkergemisch

Oberberg war früher eher eine abgelegene[3] Gegend. Und doch findet man hier Menschen aus ganz vielen verschiedenen Ländern. In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, als die Wirtschaft in Deutschland aufblühte, lud man „Gastarbeiter“ ein. Sie kamen aus Jugoslawien, Griechenland, Italien oder der Türkei. Viele blieben und haben heute ihr Zuhause in Oberberg. Schon vorher, Ende der 40er Jahre zogen Flüchtlinge zu, die während des Krieges ihre Heimat verloren hatten. Seitdem kamen auch zahlreiche Menschen nach Oberberg, deren Vorfahren vor langer Zeit nach Rumänien und Russland ausgewandert waren. So findet man im Oberbergischen Land ein buntes Völker- und Sprachengemisch.

„Dröppelminna“ und „Bunte Kerken“

„Bergische Kaffeetafel mit Dröppelminna“ steht am Restaurant zu lesen. Wenn man dann liest, was alles dazu gehört, kann man nur staunen: Schwarzbrot, Hefebrot mit Rosinen, Waffeln, Milchreis, Marmelade sowie Wurst und Butter – und natürlich Kaffee aus der Dröppelminna. Das sind besondere Kaffeekannen aus Zinn, aus denen der heiße Kaffee serviert wird. „Kaffedrenken met allem dröm on draan[4]„, wie die Oberberger zu sagen pflegen.

Eine Besonderheit in Oberberg sind die innen reich bemalten alten Kirchen, die „Bunte Kerken“ genannt werden. Solche findet man z.B. in Lieberhausen und Wiedenest. Die bunten Bilder erzählen Geschichten aus dem Alten oder Neuen Testament, denn die wenigsten Menschen konnten vor 500 Jahren lesen oder sich eine Bibel leisten.

Zurück in der Zeit

Wer sich noch mehr mit der Geschichte des Oberbergischen beschäftigen möchte, der sollte das Freilichtmuseum in Lindlar besuchen. Hier kann man sehen, wie die Menschen früher gelebt haben. Hier kann der Besucher interessante Dinge wie Brotbacken oder Wollespinnen lernen. Am 1. Mai gibt es am Schloss Homburg in Nümbrecht einen Mittelaltermarkt. Alle Händler sprechen eine alte Form von Deutsch. Sie sind in mittelalterliche Gewänder gekleidet, und es gibt Vorführungen und Waren, wie sie für das Mittelalter typisch waren. Auch in Wiehl kann man noch die „gute alte Zeit“ erleben – bei einer Postkutschenfahrt. Dort gibt es auch eine Tropfsteinhöhle[5] zu besichtigen. Die längste Höhle ist über 1 km lang und wird auch für Konzerte und kulturelle Veranstaltungen genutzt.

Wo das Christkind[6] wohnt

Jedes Jahr in der Weihnachtszeit erreichen Zehntausende von Kinderbriefen das Postamt in Engelskirchen. In den Augen der Kinder ist das der Ort, wo die Engel und darum auch das Christkind wohnen. Tatsächlich wurde der Ort aber nach Friedrich Engels genannt, der vor 170 Jahren hier eine Baumwollspinnerei[7] gründete und der evangelischen Gemeinde eine Kirche baute: Engelskirchen. Sein Sohn war übrigens Friedrich Engels, der zusammen mit Karl Marx das Kommunistische Manifest schrieb.

Oberberg …

Landschaftlich gesehen ist Engelskirchen das „Tor nach Oberberg“. Reist man von Köln mit dem Zug nach Osten, so durchquert man das Bergische Land entlang des Flusses Agger. Ab Engelskirchen steigt das Land stark an: Grünt und blüht es im Frühjahr schon hier und da im Flusstal, so ist es keine Seltenheit, dass man entlang der Strecke in höheren Lagen noch Eis und Schnee entdeckt.

Zum Abschluss: ein „loser Mund[8]

Wenn die Frauen früher zum Brunnen gingen, um Wasser zu holen, dann trafen sie sich und tratschten[9] über die neuesten Geschehnisse im Ort. Die Stadt Bergneustadt hat mit einer Statue am alten Brunnen dieser Sitte ein Denkmal gesetzt: Frauen, die mit „losem Mund“ über andere redeten. In gleicher Tradition geht es auch im Theater der Stadt, dem „Losemund-Theater“, unterhaltsam zu.

Heike Tiedeck

Der Artikel erschien in „Der Weg“ 1/2008

Artikel als Hörtext

 

[1] ein See, der dadurch entsteht, dass ein Fluss aufgestaut wird
[2] Betriebe, in denen Teile hergestellt werden, die von Automobilherstellern benötigt werden
[3] abseits von den Hauptwegen
[4] mit allem drum und dran: mit allem, was dazugehört
[5] ein großes Loch unter der Erde, im dem kalkhaltiges Wasser von der Decke tropft. Wo es tropft, entstehen an der Decke und auf dem Boden spitze Gebilde, die so genannten Stalaktiten und Stalagmiten.
[6] das Christkind: abgeleitet von Christuskind, d.h. Jesus Christus, dessen Geburtstag an Weihnachten gefeiert wird.
[7] eine Fabrik, in der rohe Baumwolle zu Fäden verarbeitet wird.
[8] ein loser Mund: ein geschwätziger Mensch
[9] über andere Menschen reden, oft schlecht über andere reden