Atomkraft billig und schonend
Seit dem Abwurf der beiden Atombomben 1945 auf Japan durch die Amerikaner arbeitete man auch an der friedlichen Nutzung der Atomenergie. So entstanden in den folgenden Jahrzehnten in vielen Ländern Atomkraftwerke (heute weltweit 438). Die bei der Kernspaltung von Uran freiwerdende Hitze erzeugt Wasserdampf. Damit werden Turbinen zur Gewinnung von elektrischem Strom angetrieben. Das ist ein billiges Verfahren. Außerdem wird dabei die Umwelt geschont, während bei der Energiegewinnung aus Kohle und Öl durch den Kohlendioxyd-Ausstoß die Ozonschicht der Luft leidet und dadurch der Klimawandel (Erderwärmung) gefördert wird.
Gefahren der Atomkraft
Seit den siebziger Jahren wuchs jedoch der Widerstand gegen die Atomkraft. Durch ein Erdbeben, einen Terroranschlag, einen Flugzeugabsturz oder durch eine menschliche oder technische Panne könnte im Atomkraftwerk (AKW) ein Unglücksfall eintreten.
Durch die dabei austretende Radioaktivität würden tausende von Menschen sterben oder erkranken und ganze Landstriche unbewohnbar werden. Bei dem bisher größten Kraftwerksunfall von Tschernobyl 1986 geschah genau das. Außerdem müssen die verbrauchten Brennstäbe, die die Wärme liefern, Jahrzehnte oder länger sicher aufbewahrt werden (z. B. in Bergwerken), da sie noch sehr lange die gefährliche Radioaktivität ausstrahlen.
Die meisten Länder wollen trotzdem an der Atomkraft festhalten. So Frankreich, England, Russland, die USA, China. Nur wenige Staaten, wie bisher Norwegen, Österreich und neuerdings auch Italien, lehnen Atomkraft grundsätzlich ab.
Widerstand in Deutschland
In keinem Land ist jedoch der Widerstand gegen Atomkraftwerke so groß wie in Deutschland. Deshalb beschloss 2002 die damalige SPD-Grüne-Regierung den Atomausstieg: die Abschaltung aller deutschen Atomkraftwerke bis 2021. Die derzeitige CDU-FDP-Regierung unter Frau Merkel hielt zwar am Atomausstieg fest, verlängerte aber im vorigen Jahr die Laufzeiten der AKWs wieder bis 2035 (maximal sogar bis 2050).
Weite Teile der Bevölkerung reagierten darauf mit starkem Widerstand. Die Atomkatastrophe in Fukushima im März dieses Jahres führte zu einer plötzlichen, radikalen Wende in der Energiepolitik. Die Regierung beschloss die sofortige Abschaltung der älteren AKWs und die Stilllegung aller Atomkraftwerke bis 2022. Die Atomkraft soll bis dahin durch erneuerbare Energien ersetzt werden: Windkraft, Solar-(Sonnen)-Energie, Biomasse (Pflanzenabfälle).
Ein ehrgeiziges Ziel
Ob dieses Ziel erreicht wird, ist sehr fraglich. Große Investitionen, viele Milliarden Euro, wären dafür nötig. Immerhin bezieht Deutschland momentan 22 % seiner Energie aus Atomkraft. Die deutsche Landschaft würde dabei mit einer Vielzahl von (unschönen) Windrädern übersät werden. Starke Hochspannungsleitungen zum Stromtransport müssten gebaut werden. Der Strom würde teurer werden. Das alles stößt bei den Energieversorgern sowie bei Teilen der Bevölkerung und Industrie auf Widerstand.
Diese Ereignisse zeigen zum einen, dass man es nie allen Menschen Recht machen kann. Zum anderen wird deutlich, wie ein einziges Ereignis das Erdbeben im weit entfernten Japan und die dadurch ausgelöste Atomkatastrophe eine unerwartete Kehrtwendung in der Politik bewirken kann, die vorher trotz langer Debatten und Demonstrationen nie erreicht worden ist.
Hans Misdorf
Der Artikel erschien in „Der Weg“ 2/2011