Liebe Irina,
früher dachte ich, dass in Deutschland bestimmt nicht so viel betrogen wird wie in Russland. Doch musste ich zu meinem Erstaunen feststellen, dass es hier auch sehr viel Unseriöses gibt, sei es am Telefon, an der Haustür, per Brief, in Zeitschriften, im Internet usw. Man bekommt regelmäßig Anrufe von Lotterien, Versicherungen, Meinungsforschungsinstituten, die etwas fragen oder anbieten, was ich unbedingt fürs Leben brauche.
Danke, ich habe kein Interesse…
Am Anfang war ich überfordert, weil ich nicht wusste, wie ich darauf reagieren soll. Ich wollte doch nicht unhöflich sein oder die Anrufer gar beleidigen. Mein Mann sagte, ich solle mir deswegen keine Sorgen machen und einfach den Telefonhörer auflegen, weil sie uns belästigen und dass ich nicht antworten muss. Da ich aber immer noch unsicher war, schrieb mir mein Mann auf, was ich in jeder Situation antworten kann, z.B. Danke, ich habe kein Interesse an Ihrem Angebot, oder Danke, wir haben schon einen Versicherungsberater. Auf solche Weise habe ich dann erfolgreich die lästigen Anrufer abgewehrt. Oft aber spricht auch eine Stimme auf einem Tonband. Dann lege ich den Telefonhörer gleich auf. Auch zum Geburtstag dürfen die Anrufe von Firmen nicht fehlen. Nach den Glückwünschen soll man gleich seine Bestellung aufgeben.
Es gab auch Witziges am Telefon. Eine Firma hat den Namen von Claudia in ihrem Computer falsch gespeichert. So bekam ich nach ihrer Geburt einen Anruf, wie es denn meinem Sohn Ciacomo geht. Oder auch mein Vorname Elena hat sich zu Eöema verwandelt. Und siehe da, ein freundlicher Herr ruft an, der ganz höflich fragt, ob er mit Frau Eöema Peter sprechen darf. Als ich ihm meinen Vornamen buchstabiert hatte, musste er dann auch lachen. Ich habe mir vorgestellt, wie er die Aussprache vor dem Telefonat lange üben musste und sich vielleicht noch darüber ärgerte, was für exotische Vornamen manche Leute haben.
Manche Anrufer werden sogar frech, wenn man für ihr Angebot kein Interesse zeigt. Sie schimpfen, ob ich auf Geld allergisch sei oder dass ich weiter träumen solle.
Kauf an der Haustür
Auch die Besuche von verschiedenen Hausierern[1] sind keine Seltenheit. Man muss sich an der Haustür schnell entscheiden, ob man etwas kaufen, eine Zeitschrift abonnieren oder spenden will. Viele erzählen, dass das Geld behinderten Menschen zugute kommt, was leider oft nicht stimmt, und versuchen noch, mir ein schlechtes Gewissen zu machen, wenn ich nichts gebe.
Oft nützen die Hausierer den Überraschungseffekt aus und haben damit Erfolg. Einmal habe ich an der Haustür für ein Zeitungsabonnement unterschrieben. Doch ich konnte das Geschäft wieder rückgängig machen. Denn es gibt in Deutschland ein Gesetz, dass man jedes Haustürgeschäft innerhalb von zwei Wochen widerrufen kann. Man muss nur darauf achten, dass der Hausierer kein älteres Datum einträgt. Natürlich ist nicht alles Betrug. Es werden auch Qualitätsprodukte an der Haustür angeboten, allerdings zu hohen Preisen. Auch hier wollen die Firmen die Leute mit einer schnellen Entscheidung an sich binden. Inzwischen habe ich schon viel Erfahrung und kann schnell durchschauen, ob die ganze Sache seriös ist. Es ist wichtig, dass ich mich nicht überreden lasse und nur dann etwas kaufe, wenn ich es auch wirklich brauche.
Viele Schnäppchen…
Ständig werden in der Werbung zahlreiche Schnäppchen[2] angeboten. Zur Bekräftigung steht oft dabei: Gnadenlos reduziert, nur solange der Vorrat reicht, Preissturz, Preiskracher, knallhart kalkuliert, satte Rabatte … Man muss aber nicht gleich jedem glauben. Manches gibt es woanders noch billiger oder besser.
Also, ich muss noch schnell ins Geschäft. Heute ist Hackfleisch reduziert. Hoffentlich bleibt noch etwas für mich übrig!
Bis bald
Deine Elena
Der Artikel erschien in „Der Weg“ 3/2006
[1] der Hausierer: jmd., der von Haus zu Haus geht, um Waren zu verkaufen
[2] das Schnäppchen: bes. preisgünstig angebotene Ware