Sehr geehrte Irina,
bezugnehmend auf dein letztes an mich gerichtetes Schreiben, das ich zwischenzeitlich dankend erhalten habe, teile ich höflichst mit, dass es um mich und meine Familie wohl bestellt ist und frage hiermit gleichzeitig an, wie sich die Angelegenheiten bei dir entwickeln. In Erwartung deiner baldigen Antwort verbleibe ich hochachtungsvoll …
Liebe Irina, bestimmt wunderst du dich über diesen Briefanfang. Ich habe hier zum Spaß in Beamtendeutsch geschrieben.
Die Sprache, die Behörden im Schriftwechsel mit Privatpersonen verwenden, nennt man Behörden- oder Amtssprache. Schreiben der Verwaltung müssen genau und vollständig sein. Doch oft versteht der Bürger diese Schreiben nicht, weil die Behörden zu viel juristische Fachsprache aus ihren Vorschriften verwenden und nicht die Alltagssprache der Menschen. Dann sprechen die Leute verärgert vom Beamtendeutsch, das man verbieten sollte.
Beim Ausländeramt
Seit ich in Deutschland lebe, habe ich schon viele Briefe von Behörden bekommen. Es begann mit einem Schreiben des Ausländeramtes: Hiermit werden Sie zum 5. Dezember um 9 Uhr einbestellt. Sie werden darauf hingewiesen, dass Sie dieser Einbestellung Folge zu leisten haben. Ich musste diesen Brief zweimal lesen, bis ich den Sinn verstand: Ich musste zu einem bestimmten Termin in die Behörde kommen. Dort musste ich ein vierseitiges Antragsformular ausfüllen und noch einige Unterlagen als Nachweise dazulegen. Nach vier Wochen bekam ich dann den Bescheid über die Bewilligung der Aufenthaltserlaubnis, allerdings zuerst nur für ein Jahr. Wenn ich damit nicht einverstanden sein sollte, könne ich Widerspruch erheben, das heißt, ich schreibe der Behörde, warum ich mit der Entscheidung nicht einverstanden bin. Dann entscheidet die Behörde noch einmal über meinen Antrag. Wenn ich mit der neuen Entscheidung nicht zufrieden bin, kann ich vor einem bestimmten Gericht klagen. Übrigens sind die Gerichte in Deutschland sehr überlastet, weil jeder Recht haben will …
Wer kann das verstehen?
Später habe ich mich um eine Fahrerlaubnis bemüht und den Führerschein erworben. Ich musste einen Antrag auf Einleitung eines Verfahrens zur Erteilung der Erlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges auf öffentlichen Straßen stellen.
Schließlich erhielt ich einen Steuerbescheid vom Finanzamt. Dort las ich unter anderem: Nach § 59 der BHO darf ein Anspruch nur gestundet werden, wenn die sofortige Einziehung mit erheblichen Härten für den Anspruchsgegner verbunden wäre und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet wird. Ich habe nichts verstanden, bis mir mein Mann das übersetzte: Ich muss Steuern an das Finanzamt nachzahlen. Wenn ich jetzt nicht genug Geld habe, kann ich die Steuern auch etwas später bezahlen. Es muss aber für das Finanzamt sicher sein, dass ich alles bis zu einem bestimmten Termin bezahlen werde.
Mir fällt auf, dass Behörden oft im Passiv schreiben, was den Brief sehr unpersönlich macht. Außerdem werden viele Verben substantiviert. Es werden Worte zusammengesetzt, Substantivketten gebildet sowie oft veraltete Wörter und manchmal sogar unbekannte Abkürzungen benutzt. Du findest in meinem Brief hierfür einige Beispiele. Ich frage mich, warum Behörden nicht einfacher und persönlicher und damit verständlicher schreiben. Es ist sicherlich die Angst, schwierige Gesetze zu verfälschen.
Aber ich beobachte auch, dass sich viele Verwaltungen positiv verändern. Unter den Begriffen bürgerfreundliche[1] Verwaltung oder Bürgernähe bieten die Behörden ihre Dienstleistungen an. Die Behörden beraten immer mehr und besser und verlegen sogar ihre Öffnungszeiten kundenfreundlich in die Abendstunden.
Bitte schreibe mir, wie es dir geht (aber bitte nicht in Beamtendeutsch)!
Herzliche Grüße,
Deine Elena
Der Artikel erschien in „Der Weg“ 2/2006
[1] bürgerfreundlich, bürgernah: hilfsbereit den Bürgern gegenüber