Heinrich Böll
Heinrich Böll zählt zu den wichtigsten und meistgelesenen deutschen Autoren nach 1945. Geboren am 21.12.1917 in Köln als jüngstes von drei Kindern, war die zeitgenössische Welt der Stoff, aus dem er seine Kurzgeschichten, Romane und Hörspiele schuf. So spielen fast alle seine Romane und Kurzgeschichten im Rheinland, in dem Böll sei Leben verbrachte. Auch sind fast alle Personen seines Werks Katholiken, wenn diese mitunter auch zweifelhafte Motivationen haben, zur Messe zu gehen.
Antimilitarismus, Ablehnung der Preußen und später auch der Nationalsozialismus prägten Heinrich Bölls Elternhaus. Einen starken Einfluß übte seine warmherzige Mutter aus, die dem Leser in vielen Frauenfiguren in Bölls Romanen wiederbegegnet. Ein Thema ist bei ihm familiäre Geborgenheit auch in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten während der Weltwirtschaftskrise und in Zeiten politischer Schwierigkeiten nach der Machtergreifung durch Hitler im Januar 1933. In milieugetreuen Beschreibungen der Nachkriegszeit und der jungen Republik zeigt er kompromißlos gesellschaftliche Mißstände auf.
In seiner Familie hat Böll früh erfahren, daß christlicher Glaube und die Amtskirche nichts miteinander zu tun haben müssen. Kritik an einer Kirche, die an erster Stelle Machtverlust fürchtet und sich bei den Mächtigen im Staat anbiedert, durchzieht das ganze Werk Bölls. Auch wird immer wieder Kritik an Menschen laut, die hinter einer frommen Fassade Egoisten sind. An Gott selber hat Heinrich Böll jedoch nie gezweifelt (Zitat: „Der Mensch ist ja ein Gottesbeweis“) . Trotz seines Kirchenaustrittes fühlte er sich der Gemeinschaft der Gläubigen zugehörig, ganz ohne Kult und Dogmen. Die Bergpredigt war für ihn der zentrale Text des neuen Testamentes.
Konservative Kritiker warfen Böll in den 70er Jahren vor, er sympathisiere mit dem Terrorismus. Er unterstützte Kernkraftgegner und Friedensbewegung. Auch setzte er sich für die sozialen Ansprüche der Schriftsteller sowie für verfolgte Kollegen ein (A. Solschenizyn, L. Kopelew). 1972 erhielt er als erster in Deutschland lebender Schriftsteller seit 1929 (T. Mann) den Literaturnobelpreis. Am 16.7.1985 starb Böll. Einige seiner bekanntesten Werke sind: Wo warst du Adam? (1951), Das Brot der frühen Jahre (1955), Billiard um Halbzehn (1959); Ansichten eines Clowns (1963); Gruppenbild mit Dame (1971); Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1971); Frauen vor Flußlandschaft (1985).
Der Autor und sein Werk
Textauszug aus: „Nicht nur zur Weihnachtszeit“
„Die Hauptattraktion am Weihnachtsbaum meiner Tante Milla waren gläserne Zwerge, die in ihren hocherhobenen Armen einen Korkhammer hielten und zu deren Füßen glockenförmige Ambosse hingen. … Sie schlugen wie irr mit ihren Korkhämmern auf die Ambosse und riefen so … ein konzertantes, elfenhaft feines Gebimmel hervor. Und an der Spitze des Tannenbaumes hing ein silbrig gekleideter rotwangiger Engel, der in bestimmten Abständen seine Lippen voneinander hob und ‚FRIEDEN‘ flüsterte.“
Weihnachten, reduziert auf Familienidyll, den Weihnachtsbaum, Süßigkeiten und Lametta – ein Weihnachten, wie es die meisten Deutschen gut kennen – ist der Hintergrund von Bölls Satire „Nicht nur zur Weihnachtszeit“.
Nachdem Tante Milla in der Kriegszeit auf die Weihnachtsfreuden verzichten mußte, legt sie größten Wert darauf, daß diese Atmosphäre künstlicher Harmonie in der Weihnachtszeit 1945/46 wieder erzeugt wird. Das Abschmücken des beschriebenen Baumes führt zu jahrelangem Terror für die Familie, da die Tante nach einem Umkippen des Baumes in einen Schreikrampf verfällt. Dieser ist nur dadurch zu stoppen, daß der Weihnachtsbaum jahrelang stehenbleibt. Die Familie feiert nun täglich Heiligabend und endet in der Nervenheilanstalt. Die Familie wird durch Schauspieler ersetzt, die Kinder durch Puppen .
Die Satire amüsiert auf den ersten Blick. Dann wird der beklemmende Druck deutlich, den Böll angesichts eines Weihnachten empfindet, das nur eine Rückkehr in vorgeschriebene Zeremonien ist. Mit der Forderung nach einem ‚friedlichen‘ Weihnachten terrorisiert Tante Milla die Familie. Der Grund, warum Weihnachten gefeiert wird, ist hier irrelevant.
Daniel Ziegler