Ursprung und Entwicklung
Der Jazz entstand am Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA durch die Vermischung verschiedener europäischer Musikkulturen mit solchen, die die Nachkommen Afrika-stämmiger Sklaven einbrachten. Neu an dieser Musik war das Vorherrschen der Improvisation – also die spontane Erfindung von Melodien und der freie Ausdruck eigener Ideen. Dies war der Aufführungspraxis der klassischen Musik verloren gegangen.
Schon bald wurde diese neue Musik in Europa nachgeahmt. So war Paris in den 20er Jahren ein Zentrum des Jazz in Europa. Auch in Deutschland gab es Jazzbegeisterte, doch wurde diese „freigeistige Musik“ wie andere moderne Kunstformen zur Zeit des Nationalsozialismus unter Hitlers Diktatur verboten. Wer „Neger-Musik“ auf amerikanischen Soldatensendern hörte, wurde verfolgt. Auch nach dem 2. Weltkrieg blieb der Jazz die Musik einer Minderheit, obwohl er immer wieder die „leichtere“ populäre Musik (Pop-Musik), wie sie in den Hitparaden (Charts) gespielt wird, beeinflusst.
Bis in die 60er Jahre blieb es bei der Nachahmung der amerikanischen Musiker-Vorbilder. Doch geschah nun eine entscheidende Veränderung, die dem europäischen Jazz ein eigenes Gesicht verlieh. Die neueste Entwicklung in den USA hieß in dieser Zeit „Free Jazz“. Man löste sich von allen Vorgaben, die der Improvisation bis dahin zugrunde lagen wie beispielsweise Harmonik und durchgehendem Rhythmus. So wie deutsche Jazzmusiker bisher Stile wie Swing, Bebop und Cool-Jazz nachgeahmt hatten, imitierten sie jetzt die freien Spielweisen von Ornette Coleman (Saxophon), Cecil Taylor (Piano) und Anderen. Indem sie das Modell von Offenheit und Regelfreiheit übernahmen, fanden sie zu sich selbst.
Jazz in Deutschland
Die einflussreichsten Deutschen jener Zeit waren Albert Mangelsdorf, Posaune und Manfred Schoof, Trompete. Mangelsdorf entwickelte ab den 70er Jahren eine Spieltechnik, bei der er gleichzeitig zu den gespielten Tönen zusätzlich in die Posaune singt, was Mehrklänge (= Akkorde) erzeugt. Er ist ein Spezialist für Solokonzerte und erhielt viele Preise und Auszeichnungen.
Weitere bedeutende deutsche Jazzmusiker:
–Peter Brötzmann, Tenorsaxophon, spielt mit einer Intensität, die man häufig mit schwarzen Musikern verbindet.
–Günther „Baby“ Sommer erweitert das Schlagzeug um Pauken und Geräuschinstrumente. Er gilt als melodischster Schlagzeuger der Nach-Free-Jazz-Zeit und spielt mit magischer Intensität, Ruhe und Pausen.
–Alexander von Schlippenbach ist Leiter des „Globe-Unity-Orchesters“, des ersten europäischen Free-Jazz-Orchesters (seit 1966).
–Karl Berger, Vibraphon, lebte in den USA und baute das „Creative Music Studio“ in Woodstock auf. Berger beschäftigte sich eingehend mit Weltmusik, das heißt vielfältige Musikkulturen fließen in seinen Unterricht und seine Spielpraxis ein.
-Die Kölner Saxophon-Mafia ist reine Saxophon-Gruppe, die sich großer formaler Abläufe und komplexer Harmonien bedient.
–Gerd Dudek spielt Saxophon im „European Jazz Ensemble“, das von dem Bassisten Ali Haurand geleitet wird.
–Markus Stockhausen, Sohn des Komponisten Karlheinz Stockhausen, bezieht Elektronik in sein Trompetenspiel ein.
–Joachim Kühn, Piano.
–Nils Wogram, Posaune.
Die aktuelle deutsche Jazzszene stellt sich etwa so dar:
Obwohl Improvisation eine schwierige Kunstform ist, hat der Jazz an den deutschen Musik-Hochschulen noch immer einen geringeren Stellenwert als die Ausbildung klassischer Musiker. Persönlichkeiten wie die Musikwissenschaftlerin Prof. Dr. Ilse Storb (Duisburg) und Prof. Joe Vierra (Regensburg) versuchen unter großen Schwierigkeiten, dieses Mißverhältnis aufzubrechen.
In Köln, Hamburg und Berlin gibt es viele Jazz-Clubs, in denen international bedeutende Musiker auftreten. Amerikanische Musiker spielen gerne in Deutschland, da sie hier ein interessierteres, konzentrierter zuhörendes Publikum haben als in den USA, wo eine stärkere Konsumhaltung zu beobachten ist. Große Jazzfestivals finden in Moers, Viersen, Baden-Baden, Münster und anderen Städten statt. Zur Entwicklung der Jazzszene leisten Zeitschriften wie Jazzpodium und Jazzthetik, die Radio-Jazz-Orchester, besonders die WDR-Bigband und die Münchner Schallplattenfirma ECM wichtige Beiträge. Ein herausragender Nicht-Musiker ist noch zu nennen: Joachim Ernst Berendt, ein international bedeutender Jazzkritiker. Sein „Jazzbuch“ wurde von ihm selbst mehrfach aktualisiert und in sehr viele Sprachen übersetzt.
Daniel Ziegler