Viele Dinge haben die Deutschen 2002 bewegt. Einige wenige Themen, die sich oft auch in den „Wörtern des Jahres“[1] widerspiegeln, wollen wir Revue passieren[2] lassen.
Am 1. Januar war es soweit: Das Euro-Bargeld wurde offizielles Zahlungsmittel in den meisten Ländern der EU. Ein trauriger Tag für die meisten Deutschen, die auch heute noch ihrer geliebten D-Mark nachtrauern. Technisch verlief die Umstellung reibungslos. Aber vielen Menschen fiel und fällt es immer noch schwer, in Euro zu denken. Und manche Geschäfte nutzten die Gelegenheit, mit der Preisumstellung die Preise für ihre Waren zu erhöhen. Wenn auch mit dem Euro nicht alles teurer wurde, so hatte sich bald das Wort des Jahres 2002 gebildet: der „Teuro„. Als Folge des „Teuro“ wurde weniger gekauft, und der Handel klagte über große Umsatzverluste[3].
Nach dem knappen Sieg der SPD mit Bundeskanzler Gerhard Schröder bei der Bundestagswahl am 22. September ist die Popularität der Bundesregierung stetig gefallen. Noch nie hatte eine Bundesregierung so wenig Zustimmung. Die von der CDU deutlich gewonnenen Landtagswahlen Anfang Februar 2003 in Hessen und Niedersachsen haben dies bestätigt. Ein Hauptgrund dafür ist der starke Konjunktureinbruch[4]. Überall in Deutschland herrscht Krisenstimmung. Viele Firmen gehen Pleite. 4,7 Millionen Menschen sind arbeitslos. Und da der Staat dadurch weniger Geld einnimmt, muss er Abgaben und Steuern erhöhen. Was wiederum zu neuen Problemen führt…
Am 26. April wurde eine Schule in Erfurt zum Schauplatz des schwersten Verbrechens der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ein ehemaliger Schüler dieses Gymnasiums lief dort Amok[5] und tötete innerhalb von zehn Minuten 16 Menschen. Dann erschoss er sich selbst. Er wollte sich dafür rächen, dass er aus der Schule geworfen wurde.
Einen Schock ganz anderer Art traf Deutschland nach der Veröffentlichung der PISA[6]-Studie der OECD[7]. Dort wurde in Deutschland die Leistung von 50.000 Schülern der neunten Klasse in den Bereichen Lesekompetenz, Mathematik und Naturwissenschaften untersucht. Das erschreckende Ergebnis: Während die Schüler in den Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen noch ein recht gutes Ergebnis erzielten, waren sie in anderen Bundesländern sehr viel schlechter. Im internationalen Vergleich von 32 Ländern befand Deutschland sich damit auf Rang 21. Dieser „Pisa-Schock“ hat Bildung wieder zum Thema gemacht.
Und noch einen Schock musste Deutschland im letzten Jahr hinnehmen. Im August fiel so heftiger Regen, dass viele Flüsse über ihre Ufer traten und ganze Landstriche[8] überfluteten. Am Schlimmsten traf es Sachsen. Allein dort wurden etwa 25.000 Häuser zerstört. In Dresden erreichte die Elbe mit 9,40 Metern ihren Höchststand – normal sind zwei Meter. Es entstanden Schäden von über 9,2 Mrd. Euro. Aber die „Jahrtausendflut“ löste auch eine große Welle der Hilfsbereitschaft aus. Weit über 260 Mio. Euro an Spendengeldern gingen ein, und viele Zehntausende von Freiwilligen und 128.000 Profihelfer stemmten[9] sich Tag und Nacht gegen die Flut. Heute ist das Wasser weg, aber mit den Folgen werden die Menschen noch lange zu kämpfen haben.
[Sportlich war das letzte Jahr nicht so schlecht. Bei den olympischen Winterspielen in Salt Lake City gewann Deutschland die Medaillenwertung und bei der Fußball-WM wurde die deutsche Nationalmannschaft Vize-Weltmeister. Wenigstens etwas zum Freuen!]
[1] Die „Wörter des Jahres“ werden von der Gesellschaft für Deutsche Sprache in Wiesbaden jedes Jahr aus Wortbeiträgen in Zeitungen etc ausgewählt.
[2] etw. Revue passieren lassen: noch einmal über etwas (z.B. ein Erlebnis) nachdenken
[3] der Umsatz: der Gesamtwert der Waren, die in einem bestimmten Zeitraum verkauft werden
[4] die Konjunktur: die allgemeine wirtschaftliche Situation und Entwicklung eines Landes
[5] Amok laufen: in blinder, krankhafter Wut mit einer Waffe umherlaufen und töten
[6] Abk. für Program for International Student Assessment (Studie zur Bewertung von Schülerleistungen im internationalen Vergleich)
[7] Organization for Economic Cooperation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)
[8] der Landstrich: ein Teil eines Landes – Gebiet, Gegend
[9] sich gegen etw. stemmen: mit viel Energie versuchen, etwas zu verhindern