Horst Köhler, der deutsche Bundespräsident

Wenn man denkt, es geht nicht mehr, hat man immer noch zwei Drittel seiner Kräfte.“ Dies sind Worte des deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler.

Am 23. März 2004 wurde Horst Köhler von der Bundesversammlung zum 9. Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt. In Interviews bekennt er, dass er manchmal selbst noch ein wenig erstaunt ist über seinen Weg aus den Flüchtlingsbaracken der Nachkriegszeit an die Staatsspitze. Seine Eltern waren deutsche Bauern aus dem rumänischen Bessarabien. Nach Abschluss des Hitler-Stalin Paktes 1939 wurde die Familie nach Polen umgesiedelt. Dort wurde Horst Köhler am 22. Februar 1943 als siebentes von acht Kindern geboren. 1944 floh die Familie vor der heranrückenden Roten Armee nach Sachsen. Er erlebte das Elend in den Flüchtlingslagern hautnah[1]. Schließlich fand die Familie in der Nähe von Leipzig in einem alten Bauernhaus Unterkunft. Jedoch floh die Familie 1953 nach Westberlin, da der Vater zur Zeit der Zwangskollektivierung in der DDR Repressalien[2] von Seiten der Staatsmacht befürchtete. Not und Entbehrungen in den Flüchtlingslagern, das Gefühl, nirgends richtig zu Hause zu sein, prägten seine Kindheit.

Ein neuer Anfang und steiler Aufstieg

1957 fand die Familie endlich in der kleinen Stadt Ludwigsburg in Schwaben eine neue Heimat. Horst Köhler besuchte dort bis 1963 das Gymnasium und studierte nach dem Wehrdienst an der Universität Tübingen Volkswirtschaft. Er finanzierte sein Studium durch harte Arbeit auf verschiedenen Baustellen. 1969 schloss er sein Studium mit der Promotion ab. Schnell ging es für ihn auf der Karriereleiter[3] aufwärts: Horst Köhler wurde Chef des deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, danach Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen. Er leitete die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in Osteuropa, die ihren Sitz in London hat und Projekte in 27 Staaten unterstützt. Schließlich war er bis zu seiner Wahl als Bundespräsident Chef des Internationalen Währungsfonds in Washington. Diese verantwortungsvolle Position hatte er vier Jahre inne.

Seine Mitarbeiter urteilen über seinen Arbeitsstil wie folgt: Horst Köhler fordert von niemandem mehr, als er selbst zu leisten bereit ist. Fleiß, Ausdauer und Disziplin sind seine herausragenden Eigenschaften. Seine Energie basiert wohl auch auf den schweren Erfahrungen als Flüchtlingskind einer armen bäuerlichen Familie und später eines Arbeiterhaushaltes. Sein hart erkämpfter Aufstieg – als einziges Kind von acht Geschwistern bekam er die Möglichkeit, das Abitur zu machen und danach zu studieren -, hat seine bescheidene Lebensführung geprägt.

Der deutsche Bundespräsident

Die zentrale Aufgabe des Bundespräsidenten besteht darin, die Bundesrepublik Deutschland zu repräsentieren – insbesondere nach außen. Der Bundespräsident zeichnet die von der Bundesregierung erlassenen Gesetze ab, ebenso leistet er Unterschrift unter die Ernennungsurkunden hoher Bundesbeamter, der Richter des Bundes und der Offiziere der Bundeswehr. Der Bundespräsident hat das Begnadigungsrecht. Formal ernennt er den Bundeskanzler und die Bundesminister, aber er regiert das Land nicht. Er ist nicht berechtigt, durch bindende[4] Erklärungen die Außenpolitik der Regierung zu verändern. Anders verhält es sich mit der Innenpolitik. Hier ist er nicht verpflichtet, die Meinung der Regierung zu übernehmen. Schon bei seiner Antrittsrede hat Horst Köhler angekündigt, er werde ein unbequemer Präsident sein, der sich einmischen wird. So versucht er, die Erstarrung der gesellschaftlichen Strukturen zu überwinden und der Gesellschaft neue Orientierung zu geben, ohne in den Parteienstreit einzugreifen. Seine Aufrichtigkeit und Geradlinigkeit machen es ihm schwer, mit Entscheidungen anderer zu leben, wenn er diese als „faule Kompromisse[5]“ empfindet.

Horst Köhler ist evangelischer Christ. Er bekennt sich offen zu den biblischen 10 Geboten. Er erhofft sich eine deutliche Ausrichtung der Gesellschaft nach den Grundwerten der christlichen Ethik und fordert die Kirche auf, ihre Rolle hierbei ernst zu nehmen. Dies geht aus seinen folgenden Worten hervor: „Was ich mir von den Kirchen wünsche, ist die klare Unterscheidung zwischen letzten und vorletzten Fragen. Die letzten Fragen wachzuhalten – die nach dem Sinn von Leben und Sterben -, darauf kommt es heute vielleicht am allermeisten an. Hier besonders erwarte ich die Stimme der Kirche, und ihre Stimme sollte in diesen entscheidenden Fragen nicht leiser sein als in ihren Äußerungen zur Politik.“

Seine Antrittsrede schloss Horst Köhler mit den Worten: „Gott segne unser Land.“

Der Artikel erschien in „Der Weg“ 4/2007

 

[1] unmittelbar
[2] (als Reaktion auf etwas) eine Maßnahme, mit der auf jemanden Druck ausgeübt werden soll
[3] Möglichkeit zum Aufstieg in der Gesellschaft
[4] verbindliche
[5] eine Übereinkunft, die von allen akzeptiert werden muss