Zum 100. Geburtstag von Helmuth James Graf von Moltke (1907-1945)
Dem Christentum feindliche Ideologien wie der Nationalsozialismus und der Kommunismus haben im 20. Jahrhundert in Europa mit aller Macht versucht, ihre menschenverachtende[1] Weltanschauung an die Stelle christlicher Werte zu setzen. Mutige Menschen haben dagegen protestiert. Selbst der Tod konnte ihre Gewissheit nicht zerstören, dass Gott seinen Leuten auch in der finstersten Nacht die Treue hält.
Einer dieser Männer, die im Christentum die entscheidende Kraft beim Sturz der national-sozialistischen Herrschaft in Deutschland sahen, war Helmuth James Graf von Moltke, geboren am 11. März 1907 auf Schloss Kreisau in Niederschlesien. Das offene, liberale Denken der Eltern prägte den jungen Moltke. Er studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Breslau, Berlin und Wien. Neben dem Studium widmete er sich seiner eigentlichen Leidenschaft, der Politik. Er informierte sich über die politischen Programme der Parteien, beobachtete kritisch deren Praxis und entwickelte immer mehr Solidarität für die bedrohte Republik. Er verabscheute[2] den Nationalsozialismus und alle Formen des Antisemitismus. 1929 legte Moltke sein Referendarexamen ab und übernahm im gleichen Jahr die Verwaltung des Gutes in Kreisau. 1931 heiratete er Freya Deichmann, die Tochter eines liberalen protestantischen Bankiers. Seine Frau teilte seine entschieden antinationalsozialistische Gesinnung. Was ihm seine Frau bedeutete, welch moralische Stütze sie ihm war, wird in den einzigartigen Briefen Moltkes an sie deutlich. Sie sind für uns bewegende Dokumente einer Liebe, die sich unter den Bedingungen eines totalitären Regimes und eines konspirativen[3] Widerstandes gegen die politischen Machthaber bewähren musste. Ab 1934 arbeitete Moltke als freier Rechtsanwalt in Berlin, während seine Frau mit den Kindern auf Gut Kreisau lebte. Moltke befasste sich vorrangig mit der Beratung und Verteidigung von jüdischen Mitbürgern und geriet so mehr und mehr ins Visier[4] der Gestapo.
Nach der Annexion Österreichs und der Reichspogromnacht am 9. November 1938 nahm Moltke Kontakt zu Gegnern des NS-Regimes auf, die ihm von früher bekannt waren.
Im September 1939 wurde er dienstverpflichtet[5] ins Amt für Auslandsabwehr, das von Admiral Canaris geleitet wurde. Durch diese Tätigkeit erhielt Moltke Einblick in die Pläne der Kriegsführung der Heeresleitung und erfuhr von den Verbrechen der SS-Sonderkommandos. Er führte ein gefährliches politisch-konspiratives Doppelleben. Zusammen mit Peter Yorck von Wartenburg baute er eine eigene Widerstandsgruppe auf. Diese traf sich regelmäßig auf Gut Kreisau, um Pläne für die politische Neuordnung in Deutschland nach dem Sturz Hitlers zu entwickeln. In diesem Kreis, zu dem auch protestantische und katholische Theologen sowie Vertreter der Sozialdemokratie gehörten, wurde daneben intensiv über die Rolle der Kirchen beim Umsturz nachgedacht. Dabei wurden Fragen des christlichen Glaubens eingehend diskutiert. Alle Mitglieder des Kreisauer Kreises vereinte eine gemeinsame Erfahrung und Haltung: die Abscheu[6] vor den Nazis, die für sie die Realität des Bösen darstellten, und das Leiden an der Zeit. Viele von ihnen, so auch Moltke, verarbeiteten diese Erfahrung durch eine bewusste Hinwendung zum christlichen Glauben. So entdeckten sie die einmalige Wahrheit der christlichen Botschaft für die Menschheit und für sich persönlich ganz neu. Immer häufiger las Moltke in der Bibel und suchte Trost in den sonntäglichen Gottesdiensten.
Die Gestapo entdeckte schließlich die führende Rolle Moltkes im Kreisauer Kreis. Am 19. Januar 1944 wurde Moltke zusammen mit einigen anderen verhaftet. Bis zu seiner Hinrichtung am 23. Januar 1945 in Berlin Plötzensee schreibt er an seine Frau Briefe, beeindruckende Zeugnisse des Widerstandes gegen die NS-Herrschaft aus christlicher Überzeugung. Im Angesicht des zu erwartenden Todesurteils spielt die Politik für Moltke kaum noch eine Rolle. Während der Verhandlung vor dem Volksgerichtshof[7] wird klar, dass das Bekenntnis Moltkes und der Mitangeklagten des Kreisauer Kreises zum Christentum als das eigentliche Verbrechen gegen den Führer und das deutsche Volk gewertet wird. In einem seiner letzten Briefe schreibt Moltke ein paar Tage vor seiner Hinrichtung: Es ist klar, dass ich verurteilt wurde nicht als Adliger, nicht als Deutscher, sondern als Christ und als gar nichts anderes … Wir haben einen Auftrag erfüllt. Der Herr hat uns wunderbar bis hierher geführt, er hat uns durch viele Zeichen gezeigt, dass er bei uns ist. Daraus schließe ich, dass er, wenn ich ständig darum bitte, uns spüren lassen wird, dass er bei uns ist. Das kann er am Galgen in Plötzensee genau so gut tun, wie in der Freiheit in Kreisau. … Mir antwortet er, wenn ich ihn frage: Lass Dir an meiner Gnade genügen.
Am 23. Januar 1945 wurde Moltke zusammen mit vier Widerstandskämpfern hingerichtet. Der amerikanische Diplomat George Kennan, der Moltke lange Jahre kannte, schrieb im Rückblick: Moltke war eine so große moralische Figur und zugleich ein Mann mit so umfassenden Ideen, wie mir im 2. Weltkrieg auf beiden Seiten der Front kein anderer begegnet ist. Als politischer Widerstandskämpfer war er sogleich ein Märtyrer der Kirche Jesu Christi.
Der Artikel erschien in „Der Weg“ 1/2007
[1] ohne Rücksicht auf Menschen zu nehmen
[2] etwas sehr verachten
[3] in den Zusammenhang einer Verschwörung gehörend
[4] ins Visier geraten: Aufmerksamkeit auf sich lenken
[5] er wurde gezwungen, dort zu arbeiten
[6] tiefe Abneigung
[7] das Oberste Gericht während der NS-Diktatur