Er ist der vielleicht bedeutendste lyrische Dichter[1] Deutschlands. Seine Liebes- und Naturgedichte[2] gehören zu den schönsten der deutschen Literatur. In diesem Jahr feiern wir seinen 200. Geburtstag: Eduard Mörike
Eduard Mörike wurde am 8.9.1804 in Ludwigsburg bei Stuttgart in Württemberg[3] geboren. Er besaß nicht viel körperliche Kraft. So führte er immer ein ruhiges, etwas zurückgezogenes Leben. Das zeigt z.B. sein Gedicht „Gebet“. Trotzdem hatte er zahlreiche Freunde und Bekannte. So auch die Dichter Storm, Keller und Turgenjew.
Herr, schicke, was du willst,
ein Liebes oder Leides,
ich bin vergnügt, dass beides
aus deinen Händen quillt[4].
Wollest mit Freuden
und wollest mit Leiden
mich nicht überschütten.
Doch in der Mitten
liegt holdes[5] Bescheiden.
Mörike wurde evangelischer Pfarrer. Aber lieber dichtete er. Auch war er oft kränklich. So war er jahrelang nur Vikar[6] in verschiedenen Dörfern Württembergs. Einmal verliebte er sich unglücklich. Die Verlobung mit einer anderen Frau löste er nach vier Jahren wieder auf. Aber aus beiden Verbindungen schrieb er schöne Liebesgedichte.
In dem Gedicht „Um Mitternacht“ beschreibt Mörike das Gefühl der Stille und Tiefe der Nacht, in der noch im Traum die Ereignisse des Tages nachklingen:
Gelassen stieg die Nacht ans Land,
lehnt träumend an der Berge Wand.
Ihr Auge sieht die goldene Waage nun
der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn.
Und kecker[7] rauschen die Quellen hervor,
sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
vom Tage,
vom heute gewesenen Tage.
Mörike gebraucht schöne Bilder in seinen Gedichten [8]. Viele Gedichte drücken ein Gefühl aus: z. B. Freude über den Frühling, Heimweh, das Erwachen am Morgen, Gottvertrauen, Liebesfreude und -schmerz, Todesahnung. Mörikes Lyrik lässt den Bezug auf die Antike, das Volkslied, auf Goethe und die Romantiker erkennen. Die klassisch-romantische Balladentradition führte er fort. [9]
1834 bekam Mörike endlich eine feste Pfarrstelle in dem Dorf Cleversulzbach. Eine unverheiratete Schwester versorgte ihn. Aber schon nach neun Jahren ließ er sich pensionieren, mit einem bescheidenen Ruhegehalt von jährlich 280 Gulden[10]. Durch Literaturunterricht an einem Mädchengymnasium in Stuttgart verdiente er sich etwas dazu. Mit 47 Jahren heiratete er. Zwei Töchter wurden ihm geboren.
Mörike schrieb auch einen Roman [11] und einige Novellen [12] und Märchen [13]. Doch am bekanntesten sind bis heute seine lyrischen Gedichte. Zu seiner Zeit wurde er jedoch nur wenig anerkannt.
Mörike konnte mühelos dichten. Seine Gedichte sind voll echten Lebens. Sie sind fast immer liebevoll – heiter, öfter mit etwas Humor[14] durchzogen. In späteren Jahren entstanden auch mehr „realistische“[15] Gedichte. So z.B. das Gedicht „Septembermorgen“:
Im Nebel ruhet noch die Welt,
noch träumen Wald und Wiesen.
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
den blauen Himmel unverstellt,
herbstkräftig die gedämpfte Welt
in warmem Golde fließen.
Politik interessierte Mörike nicht. Revolution lehnte er ab. Er sagte einmal, er hätte „einen Ekel gegen Heines politisches Wischiwaschi[16]„.
Im Alter trennte sich Mörike von seiner Frau. So war er in seinen letzten Jahren einsam, kränklich und unversorgt. 1874 starb er in Stuttgart. Auf dem Sterbebett hat er sich wieder mit seiner Frau versöhnt.
Hans Misdorf
Der Artikel erschien in „Der Weg“ 4/2004
[1] Lyrische Dichter sind im Ausland meist nicht bekannt. Die Schönheit der lyrischen Sprache leidet bei der Übersetzung. Auch interessieren lyrische Gefühle die meisten Menschen heute nicht. Heute beschäftigt man sich lieber mit materiellen Dingen oder politischen Fragen.
[2] Sie sind oft von leiser Wehmut und dem Bewusstsein eines Schwebezustandes durchzogenen.
[3] heute Teil des Bundeslandes Baden-Württemberg in Südwestdeutschland
[4] quellen: etwas kommt in relativ großer Menge durch eine enge Öffnung
[5] hold: sehr zart und hübsch – anmutig
[6] der Vikar: Hilfspfarrer
[7] keck: (hier) so (auffällig), dass sie lustig wirken
[8] (hier die Nacht als Frau und Mutter, die Mitternacht als Waage, die Quellen als Erinnerung an die Tagesereignisse)
[9] Z. B. in seinen Balladen »Der Feuerreiter«, 1824 und »Schön-Rohtraut«, 1837
[10] der Gulden: eine Gold- bzw. später Silbermünze, die man vom 14. bis 19. Jahrhundert besonders in Deutschland verwendet hat
[11] „Maler Nolten“
[12] Höhepunkt der Erzählkunst Mörikes ist die Novelle »Mozart auf der Reise nach Prag« (1856). Mörike setzt hier sein inniges Verhältnis zu Mozarts Musik um in eine fast anekdotische Handlung, in deren heiterer Idylle er die Nähe des Todes ahnen lässt.
[13] In manchen Märchen findet man humoristische und ironische Elemente (»Das Stuttgarter Hutzelmännlein«, 1853). Andere Märchen und Erzählungen bauen auf der grimmschen, klassisch-stilisierten Spätromantik auf.
[14] obwohl der Dichter auch trübe und bittere Stunden kannte.
[15] der Realismus: (hier) Beschreibung der sichtbaren Dinge [Dinggedichte]
[16] das Wischiwaschi: unklare, unpräzise Äußerungen