Berlin – Sehenswerte Hauptstadt (III)
Diesmal möchten wir alle Leser zu einer Stadtrundfahrt durch Berlin, die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland einladen. Dazu steigen wir nicht in einen der vielen Rundfahrtbusse, die es in Berlin gibt, sondern wir setzen uns in einen ganz normalen Linienbus. Ehe wir abfahren, möchten wir allerdings noch ein paarInformationen über das Verkehrsnetz der größten Stadt Deutschlands nennen.
Viele Verkehrsmittel
Also: Zum Verkehrsnetz Berlins gehören neun U-Bahnlinien mit einer Gesamtlinienlänge von ca. 150 km. Auf den Gleisen, die natürlich bei einer Untergrund-Bahn auch überwiegend unterirdisch verlegt sind, fahren insgesamt 1382 Fahrzeuge. Sie halten an 169 Bahnhöfen, die selbstverständlich auch zumeist unter der Erde liegen und das in einigen Fällen in mehreren Etagen. Die mittlere Beförderungsgeschwindigkeit der Züge liegt bei 30,7 km/h.
Wer es nicht liebt, unter die Erde zu gehen, fährt mit dem Bus. 1420 Busse stehen den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) zur Verfügung; 606 davon sind Doppeldecker, 257 sind Gelenkbusse, die restlichen ganz normale Fahrzeuge. Die Gesamtlänge aller Buslinien beträgt 1905 km, die Anzahl der Haltestellen in Fahrtrichtung beträgt 6745.
Auch mit der Straßenbahn kann man in Berlin fahren, und das hauptsächlich in den östlichen Stadtteilen. Insgesamt 558 Fahrzeuge befahren eine Linienlänge von 368 km und halten dabei an 797 Richtungshaltestellen. Allerdings ist die Straßenbahn das langsamste Verkehrsmittel Berlins. Ihre mittlere Beförderungsgeschwindigkeit liegt bei nur 18,2 km/h.
Und dann gibt es da noch die S-Bahn. Mit ihr kann man gut größere Entfernungen im 889 qkm großen Stadtgebiet Berlin zurücklegen.
Rundfahrt mit der Linie 100
Aber jetzt genug der Zahlen. Wir wollen zu unserer Rundreise starten. Wir steigen am Bahnhof Zoo, einem Verkehrsknoten im Westteil der Stadt, in einen Bus der Linie 100, der bekanntesten Linie des Busnetzes. An der Strecke dieser Buslinie liegen so viele Sehenswürdigkeiten und faszinierende Besonderheiten, die es in der Metropole Berlin zu entdecken gibt, daß wir heute wohl nur einen Teil der Gesamtstrecke fahren können. Wenn wir wollen, können wir nämlich unterwegs aussteigen, an bestimmten Plätzen verweilen und dann mit einem der nächsten Busse weiterfahren. Die 100er fahren in sehr kurzen Zeitabständen, so daß der Anschluß immer gegeben ist.
Wir haben Glück. Wir bekommen einen Platz in der vordersten Reihe des Oberdecks eines gelben 100ers. Von hier aus haben wir den besten Überblick über das Geschehen auf den Straßen unter uns und rechts und links an der Fahrstrecke.
„Hohler Zahn“ und „Goldelse“
Kaum ein paar Minuten unterwegs durch dichtes Verkehrsgedränge passieren wir bereits die Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Sie ist ein Symbol der sinnlosen Zerstörung durch die Bomben des Zweiten Weltkrieges. Der Ruinenturm ist heute mit einem modernen Kirchengebäude des Architekten Eiermann zu einem Ensemble kombiniert, das die Berliner „Hohler Zahn mit Lippenstift und Puderdose“ nennen. Täglich werden hier die Menschen, die bei Tag und Nacht zu Tausenden diese innerstädtische Region bevölkern, zu Zeiten der Stille, zu kurzen Andachten und zu Orgelkonzerten eingeladen. Hier findet auch macher Mensch in Not – egal wer er ist und woher er kommt – Ansprechpartner und Hilfsangebote.
Am ,Großen Stern, der wohl deshalb so heißt, weil hier viele Straßen auf einen Ring zusammenlaufen, überqueren wir wenig später die „Straße des 17. Juni“, deren Name an den Volksaufstand von 1953 erinnert (s. Berlin in DW 4/99)).
In östlicher Richtung sehen wir von hier in einiger Entfernung das berühmte Brandenburger Tor. Dort werden wir später noch vorbeikommen.
Der Bus muß um „Goldelse“ herum fahren. So nennen die Berliner die 70 m hohe Siegessäule mit der vergoldeten Victoria, einer 37 Tonnen schweren, neun Meter großen Dame mit Schuhgröße 92. Das Denkmal erinnert an die Siege des Staates Preußen zwischen 1864 und 1871. Zu Füßen der mächtigen Dame auf der Säule gibt es einen Rundgang. Von dort hat man einen wunderbaren Blick über den gesamten Tiergarten und hinüber auf die Großbaustelle Berlin, über die wir im letzten „Weg“ bereits berichtet haben.
„Präsidenten-Ei“ und „Schwangere Auster“
Bei der Weiterfahrt werfen wir einen Blick hinüber auf das neue Bundespräsidialamt, das „Präsidenten-Ei“, und zum Schloß Bellevue, dem uns bereits bekannten Amtssitz des Bundespräsidenten.
Nachdem der Bus ein Stück an der Spree entlang gefahren ist, sehen wir links von uns die Kongreßhalle des früheren Westberlin, die wegen ihrer ausgefallenen Architektur von den Berlinern liebevoll die „schwangere Auster“ genannt wird. Heute ist das Gebäude umfunktioniert zum „Haus der Kulturen der Welt“. Hier finden in wechselnder Folge internationale Ausstellungen, Vortragsreihen, Konzerte, Kongresse usw. statt.
Das Reichstagsgebäude
Einige Haltestellen weiter steigen wir nun aus, um uns das Reichstagsgebäude, den Sitz des Deutschen Bundestages, ein wenig genauer anzusehen. O Schreck. Um hineinzukommen werden wir sehr viel Zeit und Geduld brauchen. Die Schlange der Wartenden aus aller Welt, die den Reichstag besichtigen wollen, ist lang. Ob wir uns anstellen sollen? Zwei Stunden müssen wir bestimmt warten. So sagt es uns ein Schild, das jemand aufgestellt hat. Aber wir riskieren es einfach und blättern beim Warten und langsamen Vorrücken schon einmal in einem Prospekt über das Reichstagsgebäude.
Wir erfahren einige interessante Dinge: In den Jahren 1884 bis 1894 wurde dieses mächtige Gebäude als Parlamentssitz des Deutschen Reiches nach den Plänen von Paul Wallot gebaut. 1933 wurde es durch einen großen Brand zerstört. Wer sich wirklich hinter der Brandstiftung verbarg, ist nie recht geklärt worden.
Jedenfalls war das Ereignis für die Nationalsozialisten der Vorwand, massiv gegen politische Gegner vorzugehen. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Bau dann schwer beschädigt, und als sowjetische Soldaten auf dem Gebäude die rote Fahne setzten, bedeutete das das Ende der Schlacht um Berlin. Später wurde das Gebäude nicht originalgetreu wieder aufgebaut. Unmittelbar hinter dem Reichstagsgebäude verlief nach der Teilung Berlins die Sektorengrenze zwischen West- und Ostberlin.
Neuer Reichstag mit Glaskuppel
Seit Juli 1995 wurde das Reichstagsgebäude nach Plänen des britischen Architekten Sir Norman Foster in seinem Inneren dann wieder völlig neu gestaltet und eingerichtet. Im Zentrum des ersten Stocks liegt der Plenarsaal, in dem ca. 800 lila-blau bezogene Sessel ein freundliches Bild abgeben. Im zweiten Stock gibt es Räume für das Bundestagspräsidium, den Ältestenrat und die Bundestagsverwaltung. Im dritten und vierten Stock befinden sich Säle für die Fraktionen und Räume für die Presse. Ca. 600 Millionen DM hat der Umbau des Reichstagsgebäudes verschlungen.
Der mächtige Bau wird heute gekrönt von einer 23,5 Meter hohen und 800 Tonnen schweren gläsernen Kuppel, die allein ca. 20 Millionen DM gekostet hat. In diese Kuppel ein karottenförmiger Zylinder eingebaut worden, der mit 360 einzelnen Spiegeln verkleidet ist. Diese versorgen den zehn Meter tiefer gelegenen großen Plenarsaal mit Tageslicht. Gleichzeitig sorgt diese „Karotte“ für die Entlüftung des Plenarsaals. Über zwei spiralförmige Rampen können Besucher des neuen Hauses in der Kuppel nach oben gelangen auf eine 40 Meter hohe Aussichtsplattform im Inneren der Kuppelspitze. 230 Meter luftige Wegstrecke sind dabei zu überwinden. Der imposante Ausblick auf das neue Regierungsviertel im Spreebogen ist dann die Belohnung für die Mühe des Aufstiegs.
Die bekommen wir allerdings heute dann doch nicht mehr. Leider. Zwei Stunden Wartezeit und langsamstes Vorrücken der Menschenschlange machen müde. Eine Cola und eine Schrippe zwischendurch muntern die sinkende Stimmung auch nicht recht auf. Es sind einfach zu viele Leute, die das neue Versammlungsgebäude des deutschen Parlament besichtigen wollen. Inzwischen schmerzen die Beine, und die Knie tun weh. Aber der Eingang im Westflügel unter der großen Inschrift „DEM DEUTSCHEN VOLKE“ ist noch lange nicht erreicht. Wir geben für heute auf. Vielleicht gibt es ja später einmal eine Gelegenheit, das Reichstagsgebäude von innen zu sehen und den Ausblick aus der Kuppel zu genießen. Die nächste Haltestelle der Buslinie 100 ist nicht weit. Fahren wir also ein Stück weiter und genießen das Sitzen im Bus und das Schauen auf neue Dinge an unserer Strecke.
Lothar von Seltmann
(1999)