Von der „Insel“ zur Hauptstadt
„Sehn Se, det is Berlin; sehn Se, det is Berlin. Eene Stadt, die sich jewaschen hat; sehn Se, det ist Berlin.“ So klang Jahrzehnte lang der Titelsong des Berliner Kabaretts ,Die Insulaner über die Kanäle des Hörfunks. Das war in einer Zeit, als Berlin, besser Westberlin, tatsächlich den Charakter einer Insel hatte, die von einer feindlichen See umgeben war. Diese feindliche ,See trug den Namen „Deutsche Demokratische Republik“. Wenn man die Insel Westberlin erreichen wollte, mußte man entweder eine Menge Kontrollen über sich ergehen lassen, gleichgültig, ob man mit dem Auto oder mit der Bahn anreiste, oder man mußte ein Flugzeug nehmen, das einen der Westberliner Flughäfen anflog.
Ostberlin – Hauptstadt der DDR
Der Osten der Stadt war nicht etwa Ostberlin, so wie die Bundesbürger zu sagen pflegten. Nein, Ostberlin war seit dem 7.10.1949 Hauptstadt der DDR, und es war nicht einfach, diesen Teil der Stadt zu besuchen. Denn dort war seit der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik richtiges Ausland. Reisen nach Ostdeutschland waren seitdem Reisen ins Ausland, wobei der Reisende beim Grenzübertritt zusätzlich schikanösen Kontrollen unterworfen wurde (Passierscheine, Einreisegenehmigungen und hohe ,Eintrittsgelder in Form des Zwangsumtausches von 25 DM (West) pro Person in die minderwertige Mark (Ost) im Verhältnis 1:1).
Es gab sogar Zeiten, da war der Ostteil der Stadt für westliche Besucher völlig gesperrt. Zum Beispiel blockierte die russische Besatzungsmacht des Ostsektors von Gesamt-Berlin am 24.06.1948 alle Land- und Wasserwege nach Westberlin. Kein normaler Bürger konnte danach die Teilstadt auf diesen Wegen erreichen oder verlassen. Daraufhin richteten Amerikaner, Engländer und Franzosen die berühmt gewordene „Berliner Luftbrücke“ ein. Bis zur Aufhebung der Blockade am 12. 05. 1949 landeten 213000 mal Transportflugzeuge auf den Westberliner Flugplätzen. Mit diesen Maschinen wurden 1,7 Millionen Tonnen Versorgungsgüter aller Art nach Westberlin gebracht. So konnte die Stadt überleben.
Wenige Jahre später unterbrach die DDR-Regierung alle Telefonverbindungen zwischen West- und Ostberlin und untersagte den Westberlinern die Einreise in ihr Staatsgebiet. Auch das überstand die Stadt.
Eine Mauer trennte die Menschen
Aber vor allem die Menschen im Ostteil der Stadt wollten diese Schikanen bald nicht mehr hinnehmen. Im Juni 1953 gab es in der DDR und in ihrer Hauptstadt einen Volksaufstand gegen die Unterdrückung der Bürger durch das Regime. Dieser Aufstand wurde durch den Einsatz von sowjetischem Militär blutig niedergeschlagen. Mehr als 350 Menschen fanden den Tod, fast 5000 Menschen wurden wegen ihrer Beteiligung an dem Aufstand als Staatsfeinde verhaftet. Die meisten von ihnen mußten langjährige Gefängnisstrafen hinnehmen. Viele verschwanden spurlos.
Am 13. 8. 1961 begann das DDR-Regime die berühmt-berüchtigte „Berliner Mauer“ zu bauen. Dieser „antifaschistische Schutzwall“, wie die DDR diese Grenzbefestigung nannte, trennte die beiden Teile der Stadt nunmehr radikal. Und erst im Dezember 1963 waren mit Hilfe von Passierscheinen erstmals wieder Besuche von Westberlinern im Ostteil der Stadt erlaubt. Ein Jahr später konnten – auch Rentner aus dem Osten wieder Verwandte in der Bundesrepublik und im Westteil der Stadt besuchen, aber die arbeitsfähige Bevölkerung blieb von diesen Vergünstigungen ausgeschlossen.
Die Mauer fällt
Das ist nun alles Geschichte, die man inzwischen in Büchern nachlesen muß, um sie sich zu vergegenwärtigen. Seitdem am 9.11.1989 nach einer friedlichen und unblutigen Revolution die Mauer und die Grenzbefestigungen Löcher bekamen und schließlich ganz geöffnet wurden, ist Berlin wieder vereinigt. War das ein Fest damals in der wiedervereinigten Stadt, in der die Trennung von West und Ost so unerwartet aufgehoben war! Aber auch überall in Deutschland wurde dieses Ereignis groß gefeiert.
Und es wird immer noch und immer wieder gefeiert, daß Deutschland nun vereinigt ist und daß Teilungen und Trennungen aufgehoben und beendet sind. Den Staat DDR gibt es nicht mehr. Er ist als Unrechtsstaat in die Geschichte eingegangen. In wenigen Jahren wird er vor allem jüngeren Menschen auch nur noch aus den Geschichtsbüchern bekannt sein. Ostberlin als seine Hauptstadt ist überflüssig geworden. Gesamt-Berlin ist nun als vereinte Stadt wieder Hauptstadt des vereinigten Deutschland. Das ist für viele Menschen in Deutschland auch ein Grund zu großer Dankbarkeit gegen Gott, der der Herr der Geschichte ist und der auch diese Entwicklung so gelenkt hat.
Berlin – der neue Regierungssitz
Im August hat Bundeskanzler Gerhard Schröder sein Büro am neuen Regierungssitz Berlin bezogen; seitdem wird die Bundesrepublik Deutschland von Berlin aus regiert. Die meisten Ministerien haben ihre neuen Standorte eingenommen, und die Minister mit ihren großen Mitarbeiterstäben arbeiten jetzt auch nicht mehr in Bonn, sondern in Berlin. Wir haben uns fast schon daran gewöhnt, daß in den Fernseh-Nachrichten jetzt nicht mehr Bilder aus Bonn, sondern aus Berlin gezeigt werden. Jetzt sind das Brandenburger Tor, der Reichstag, der Ku-damm und das neue Regierungsviertel als Hintergrundbilder und als Kulissen des Handelns zu sehen.
Lothar von Seltmann