Ausbildung: Wunschtraum und Wirklichkeit

Martin hat vor drei Jahren die Realschule mit einem Notendurchschnitt von 1,8 abgeschlossen. Seine Lieblingsfächer waren Mathematik, Physik und Geografie. Jetzt macht er eine Ausbildung als Fahrzeugbauer. Er ist jetzt Auszubildender (Azubi) im 3. Lehrjahr und arbeitet in einer Autowerkstatt mit insgesamt 22 Beschäftigten. Er hilft bei Reparaturen und arbeitet auch schon selbstständig. Neben der praktischen Ausbildung im Betrieb besucht er zweimal in der Woche die Berufsschule. Außer berufsspezifischen[1] Fächern stehen Mathematik, Deutsch und Informatik auf seinem Stundenplan. Die Zwischenprüfung hat er mit gutem Erfolg bestanden. Am Ende der 3-jährigen Ausbildung muss er eine theoretische und eine praktische Abschlussprüfung ablegen. Danach ist er Facharbeiter. Später möchte er gern eine Weiterbildung machen, um Flugzeugtechniker zu werden. Eigentlich wollte er Pilot werden. Das war sein Traum seit seiner Kindheit. Vor kurzem hat er in einer Zeitschrift folgende Anzeige gefunden:

Ausbildung zum Piloten
Faszinierende Aussichten
Die Deutsche Lufthansa AG sucht engagierte[2] und verantwortungsbewusste Abiturienten für die Ausbildung zum Piloten. Möchten Sie Ihren Traum vom Fliegen verwirklichen? Dann bereiten wir Sie in voll vorfinanzierten Lehrgängen auf einen faszinierenden Arbeitsplatz vor.
Die Lufthansa heißt Sie willkommen an Bord.
Die Voraussetzungen: Alter 19-27 Jahre
allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife
Deutsch und Englisch in Wort und Schrift
gutes Sehvermögen
Größe zwischen 1,65 und 1,95 m
körperliche Fitness
Staatsangehörigkeit eines EU-Landes oder eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland
Disziplin, Zuverlässigkeit, Teamfähigkeit.
Die Lufthansa ist eine der bedeutendsten Fluggesellschaften im internationalen Luftverkehr. Das Engagement, das Können und die Servicebereitschaft von über 30.000 Mitarbeitern/innen sind unsere größten Stärken.

Jobprobleme für junge Akademiker

In den letzten Jahren gab es mehr als doppelt so viele Studenten an deutschen Universitäten wie vor 20 Jahren. Die Situation für Berufsanfänger mit Hochschulabschluss hat sich stark verändert: Immer weniger Akademiker finden direkt nach dem Studium eine passende Dauerstelle. Die meisten bekommen zunächst nur einen Arbeitsvertrag für eine begrenzte Zeit von ein bis zwei Jahren. Viele Unternehmen testen sogar Universitätsabsolventen in vorbereitenden Kursen oder Praktika und können sich so die besten Bewerber aussuchen. Die Kursleiter sehen das so: Wir wollen die Berufschancen der Akademiker verbessern, denn die meisten Firmen stellen lieber solche Berufsanfänger ein, die sich in der Praxis schon bewährt haben.

Aufgabe: Berichten Sie über Ihre Schulbildung/Berufsausbildung/über Ihr Studium, benutzen Sie dazu auch die vorgegebene Lexik (= Wortschatz)!

eine weiterführende Schule besuchen, der Prüfungsstress, Kreativität fördern, ein gutes Allgemeinwissen vermitteln/sich aneignen, die Durchschnittsnote, das Reifezeugnis, die Abschlussprüfung, das Abitur, die Berufschancen, die praxisbezogene Ausbildung, die Bewerbungsunterlagen einreichen, eine Lehrstelle suchen, das Bewerbungsgespräch, der Ausbildungsvertrag, die abgeschlossene Berufsausbildung, der Facharbeiterbrief, das gewählte Fach, die Einschreibung an der Uni/Hochschule, der Zulassungsantrag für das gewünschte Studium, ein Numerus clausus Fach wählen (=ein Fach mit einer begrenzten Anzahl von Studienplätzen)

Wir bieten Ihnen noch einen Text von Luise Rinser über ihre erste Stelle als Lehrerin an. Sie finden diesen Text unter: bildungswege2/


Die Schriftstellerin Luise Rinser erinnert sich in ihrer Autobiografie: „Den Wolf umarmen“ (Fischer Verlag, 1984) an ihre erste Stelle als Lehrerin:

Mitten im Winter 1932 auf 1933 kam ein Schreiben der Regierung: der Auftrag, in dem Dorf Großkarolinenfeld bei Rosenheim die Aushilfe für eine erkrankte Lehrerin zu übernehmen. Zum ersten Mal wirklich allein mit einer Klasse. Zum ersten Mal verantwortlich anwenden, was ich gelesen und gelernt hatte. Endlich eine handfeste Arbeit, endlich gebraucht werden. Der erste Morgen: der Lärm von 70 Kindern, den drei unteren Jahrgängen, zusammen in einem Schulzimmer. Ich gehe ans Pult. Die Kinder nehmen keine Notiz von mir. Die Mädchen schwätzen, und die Buben prügeln sich. Eine merkwürdig erbitterte Prügelei. Ich höre Schreie: Du Sozi! Du Roter! Du verdammter Nazi! Aber das sind doch Kinder! Das kann doch nicht sein, das ist ein Alptraum. Es ist keiner: Die Kinder prügeln sich, weil die Väter es tun. Es ist der Winter vor der Machtergreifung Hitlers. Ein Teil der Väter sind Kommunisten, ein anderer Sozialdemokraten, und einige sind schon Nazis. Ich habe das gesamte deutsche Inferno im Kleinen vor mir in der Klasse. Ich schlage mit einem der drei vor mir liegenden Rohrstöcke auf das Pult. Keine Reaktion. Ich habe eine Eingebung: Ich hole mir aus dem Knäuel der Buben einen heraus und zeige ihm den Rohrstock. Er versteckt seine Hände hinter dem Rücken: Seine Erfahrung sagt ihm, dass er jetzt geschlagen wird. Ich sage: Nimm den Stock! Er begreift nicht. Ich rufe einen anderen. Da, nimm den Stock!

Er nimmt ihn ängstlich, als sei es eine Schlange, und hält ihn ratlos weit von sich. Ich sage: Zerbrich ihn! Er hält das für eine Versuchung, einen üblen Trick. Die Kinder werden allmählich aufmerksam und still. Was geht denn da vor sich, das kann doch nicht geglaubt werden! Einer der Buben wagt das Ungeheuerliche: Er zerbricht den Stock, das Symbol der Lehrerautorität. Wirf ihn in den Ofen! Und den zweiten und dritten auch gleich! Die Rohrstöcke brennen im großen schwarzen Eisenofen.

So, sage ich, jetzt brauchen wir etwas so Hässliches nicht mehr. Ich werde euch nicht schlagen müssen, weil ihr gern in der Schule sein und gern lernen werdet.

70 Kinder zwischen 6 und 8 Jahren, von einer lange schon lungenkranken und müden Lehrerin schlecht unterrichtet, von den Eltern schlecht erzogen, in die wüsten Wirbel der politischen Kämpfe einbezogen – wie sollte ich da arbeiten?

Am Zweiten 1933 kann ich dem Dr. Stein berichten: Mir geht es sehr gut. In meiner Schule wächst nun mit Macht das Neue – eine gelöste, freie kindliche Gemeinschaft.

Heute kam ich in der Frühe in die Schule, da saß bereits eine Gruppe still und versunken beisammen und sang ein Lied, zweistimmig sangen sie… Dann kamen immer mehr Kinder und sangen mit, und schließlich sangen alle und schauten sich an und hatten sich an den Händen gefasst. Die Gemeinschaft ist geboren! Und dann die Arbeit. Die Gruppen arbeiten tatsächlich schon ganz ohne mich, ohne dass ich Aufgaben zu stellen brauche, und es geht auch schon viel stiller zu (nicht immer zwar – wenn um Probleme gerungen wird, wird es sehr lebhaft). Und das Seltsame: Mir liegt doch alles nur am Erzieherischen und – ich erreiche (nur nebenbei) zugleich das Unterrichtliche. Alle kommen sehr schön voran, im Rechnen bin ich geradezu verblüfft. Das kommt von der Selbsthilfe: Die Kinder erklären sich gegenseitig viel besser, als ich es kann. Ich weiß ja nicht, wo es am Verständnis fehlt, ich kenne den springenden Punkt oft nicht, aber die Kinder kennen ihn. Und es kommt der Unterrichtserfolg auch von der absoluten Selbstständigkeit, zu der ich sie erziehe.

Die Kinder arbeiten mit großer Freude. Sie rechneten eine ganze Stunde lang, hatten die Wandtafel hinten und vorn ganz klein beschrieben. Sie hatten es so gemacht: Jedes musste eine Rechnung vorrechnen, so dass alle drankamen, das ging ganz still vor sich. Es waren schwierige Rechnungen. Dann riefen sie mich freudestrahlend und sagten: „Jetzt haben wir`s geschafft, schauen Sie – wie wir schwitzen!“ Und richtig standen ihnen trotz der offenen Fenster die Schweißtropfen auf der Stirn. Sie waren überglücklich, sie hatten ein Werk getan. Gestern sagte ich meinen Schülerinnen (?), dass ich nun leider bald wieder fortgehen müsse, da die Lehrerin zurückkomme. Da sagten sie: „Nein!“, bloß: „Nein!“ Und dann ein Sturm: „Jetzt wo wir richtig arbeiten können, wo wir fein miteinander auskommen, jetzt wo es so schön ist.“ Eine Woche später kam die genesene Lehrerin wieder. Ich übergab ihr die verwandelte Klasse.

Man erzählte mir, was sie sagte: „So, die Zeit der Experimente ist vorbei, jetzt weht wieder ein anderer Wind.“ Mir blieben aus jener Zeit große Erfahrungen und einige Kinderzeichnungen und Gedichte.

 

Der Artikel erschien in „Der Weg“ 4/2004

[1] -spezifisch: typisch für jemanden / etwas
[2] engagiert (von: engagieren): (hier) starkes persönliches Interesse für etw. zeigen